230830sojaIndustrienahe Kreise führen eine Desinformationskampagne, um die neue Gentechnik zu deregulieren. Bild: Shutterstock

Menschen, die GVO kritisch gegenüberstehen, werden von der Industrielobby gerne diskreditiert und mit Klimaleugnern gleichgesetzt. Sie würden Fehlinformationen verbreiten, welche von einem breitgestützten „wissenschaftlichen Konsens“ abweichen, so ihre Anschuldigung. Diese Behauptung vertritt auch ein im letzten Jahr in der Zeitschrift GM Crops and Food veröffentlichte Artikel des Cheflobbyisten der Alliance for Science, Mark Lynas, bezüglich GVO.

Lynas und seine Mitverfassenden behaupten zudem, dass diese Art von "Fehlinformation" über GVO in den Medien in erheblichem Umfang verbreitet werde – und zwar proportional häufiger als bei anderen umstrittenen wissenschaftlichen Themen. Dieser Fluss an „Fehlinformationen“ sei schuld an der negativen Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber GVO und an den dementsprechend übermässig strengen Regulierungssystemen.

Eine neue Publikation in der Zeitschrift Environmental Sciences nimmt das fragwürdige Papier auseinander und deckt falsche und irreführende Behauptungen, sowie hinkende Analogien auf.

Unter den Autoren befindet sich die Agrarökologin Dr. Angelika Hilbeck (ETH) und der Molekulargenetiker Professor Michael Antoniou (King`s College London). Das Team zeigt u.a., dass Lynas in seinem Papier Forschungsergebnisse voreingenommen und selektiv nutzt. Zudem enthalte es schwerwiegende methodische Schwächen, welche es selbst als Beispiel für Fehlinformation qualifizieren.

Wie die Antoniou et al. aufzeigen, wird im Papier schon die Bedeutung des Begriffes „Fehlinformation“ sehr subjektiv interpretiert. Lynas und seine Mitverfassenden gehen nämlich davon aus, dass jeder Artikel, der eine negative, gemischte oder neutrale Meinung über GVO vertritt, eine Fehlinformation darstellt, ohne eine Analyse vorzulegen, die zeigt, inwiefern dies falsch ist.

Des Weiteren führen sie Beweise dafür an, dass die Behauptungen von Lynas et al. über die angeblichen Erfolge von GVO (bspw. in Indien) einseitig und unzuverlässig sind. Sie stellen zudem fest, dass die von Lynas et al. vorgenommene Charakterisierung der Geschichte der GVO in Afrika – in Wirklichkeit eine Geschichte des Scheiterns – höchst irreführend ist und dass dieses Scheitern für das negative politische Umfeld in Verbindung mit GVO auf dem afrikanischen Kontinent ebenso oder sogar noch mehr verantwortlich sein könnte als jegliche "Fehlinformationen" in den Medien.

Falsche Anschuldigungen und Analogien Das umstrittene Papier beginnt mit einer Beschuldigung gentechkritischer Stimmen und hat somit mit dem Hauptthema, den gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Pflanzen, nichts zu tun. Stattdessen wird eine Analogie zwischen kritischen Stimmen und Klimaleugnern gezogen. Wie Antoniou et al. zeigen, gibt es keine nachgewiesene Korrelation zwischen Ansichten über GVO und solchen über COVID und Impfstoffe. Beim Klima hingegen, ist die Korrelation durchaus vorhanden – jedoch in die entgegengesetzte Richtung als von Lynas unterstellt: ausgerechnet GVO-Befürwortende wurden wiederholt mit der Leugnung der Klimawissenschaft in Verbindung gebracht.

Wie Antoniou et al. darauf hinweisen, gibt es in Bezug auf GVO keinen ähnlichen Konsens wie das Klima betreffend. Denn der Konsens über den menschgemachten Klimawandel entstand trotz einer jahrzehntelangen Kampagne einiger der mächtigsten und lukrativsten Industrien der Welt – der Erdöl- und Kohlegiganten – zum Schutz von Märkten im Wert von Hunderten von Milliarden Dollar. Der angebliche Konsens über GVO entstand hingegen durch die Lobbyarbeit und die Unterstützung einer Industrie, die verzweifelt versucht, ihre eigenen milliardenschweren Investitionen zu schützen.

PR für GVOs Der ehemalige Journalist Lynas und sein Team verfügen selbst über keinen wissenschaftlichen Hintergrund. Trotzdem scheuen sie sich nicht davor, die Meinung von hunderten von echten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen abzutun. Damit stellt sich die Frage, woher sie sich die Berechtigung nehmen, Daten und Beweise zu einem hochtechnischen und spezialisierten Thema wie GVO in der Landwirtschaft zu bewerten.

Lynas und Conrow sind Mitglieder der Alliance for Science. Adams arbeitet für das PR- und Kommunikationsunternehmen Cision Insights. Cision hat mit der Alliance for Science zusammengearbeitet, um eine "effektivere Kommunikationsstrategie" zum Thema GVO zu entwickeln.

Laut dem Transparenzbeobachter US Right to Know sei die Alliance for Science eine PR-Kampagne für die Förderung und Akzeptanz von GV- Lebensmitteln in der ganzen Welt, insbesondere in Afrika. Die Allianz sei somit keineswegs unvoreingenommen. Seit ihrer Gründung sei sie von ehemaligen Monsanto Kommunikations- und Internetstrategen beraten worden. Ihre Botschaft stimme eng mit den Argumenten der Pestizidindustrie überein: Fokus auf die Anpreisung möglicher Vorteile von GVOs und das Herunterspielen, bzw. Leugnen der Risiken und Probleme. Mitglieder der Allianz greifen Kritiker und Kritikerinnen der Pestizidindustrie an und versuchen, sie zu diskreditieren, darunter auch Wissenschaftler, die gesundheitliche oder ökologische Bedenken gegen Pestizide äussern.                                         

So habe die Allianz etwa das glyphosatbasierte Herbizid Roundup, das auf gentechnisch veränderte, glyphosattolerante Pflanzen gespritzt wird, immer wieder verteidigt.

Die Desinformationskampagne der Allianz Seit 2020 hat sich die Alliance for Science verstärkt auf die Bekämpfung von, wie sie es nennt, "Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen" konzentriert. Das Ergebnis ist nicht nur eine ganze Reihe von Kommentaren und Erhebungen, bei denen Mark Lynas immer mehr in den Vordergrund rückt, sondern auch deren Einsatz als Waffe in einer konzertierten Kampagne. Das Ziel dieser Kampagne: Die Medienberichterstattung über gentechnisch veränderte Nutzpflanzen zu beeinflussen. Der Artikel von Lynas et al. muss daher in diesem Zusammenhang beurteilt werden.

Bei der Kampagne steht allen voran Afrika im Fokus. Im Einklang damit heben Lynas und seine Mitverfassenden ebenfalls Afrika hervor, als einen Kontinent, auf dem "Fehlinformationen" in den Medien ein besonderes Problem darstellten, und bezeichnen dies als "ein besorgniserregendes Ergebnis angesichts des Potenzials der Gentechnik für eine verbesserte Ernährung und Lebensmittelsicherheit auf dem Kontinent". Tatsächlich besorgniserregend ist, dass der Artikel eventuell der Beeinflussung der Medienberichterstattung hätte dienen können, um afrikanische Regierungen unter Druck zu setzen, ihre GVO-Vorschriften zu lockern. 

Ein gutes Beispiel dafür ist das Pressebriefing, das in Nairobi im Africa Science Media Centre (AfriSMC) stattfand, ein Medienzentrum, das mit finanzieller Unterstützung der Alliance for Science gegründet wurde. Die Veranstaltung wurde von Lynas geleitet, und Behauptungen aus seinem Artikel wurden genutzt, um die Medien zu einer grösseren Vorsicht gegenüber den "Fehlinformationen, die von GVO-Gegnern oder Wissenschaftsgegnern verbreitet werden" zu bewegen.

Es ist besonders ironisch, dass die Allianz Mark Lynas öffentlich als Experten für Fehlinformationen anpreist, während Lynas selbst wiederholt für seine ungenauen, irreführenden und sogar völlig falschen Behauptungen kritisiert wurde. Dazu gehören auch Behauptungen über die Landwirtschaft in Afrika, die so irreführend sind, dass Akademiker und Akademikerinnen deren Rückzug gefordert haben.

Ausgewogenheit in der Diskussion wichtig Auch in der Schweiz kann der laut propagierte, angebliche wissenschaftliche Konsens auf ähnliche Weise hinterfragt werden.

Anstatt Lobbyarbeit für die eigenen wirtschaftlichen Interessen sollte eine ausgewogene, objektive und transparente Diskussion entstehen – denn neben Gesundheit, stehen auch Ökosystemfunktionen und Biodiversität aufs Spiel, die unumkehrbare Schäden erleiden können.

Wie Claire Robinson, Mitverfasserin des kritischen Artikels zur Publikation von Lynas et al. kommentiert: "Natürlich werden auf beiden Seiten dieser Debatte manchmal irreführende Medienberichte veröffentlicht und es ist immer wichtig, dass die Standards der Genauigkeit eingehalten werden. Aber als ich das erste Mal auf den Artikel von Lynas et al. stiess, war ich schockiert über dessen Voreingenommenheit und der scheinbaren Verachtung für die Breite und Tiefe der wissenschaftlichen Erkenntnisse, welche die öffentliche Politik in Bezug auf GVO beeinflussen sollten. Glücklicherweise ging es den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die meine Mitverfassenden wurden, ähnlich und gemeinsam beschlossen wir, eine Antwort zu schreiben, um die Diskussion ins Gleichgewicht zu bringen.“

Das Ergebnis soll Journalisten, Redakteuren und Entscheidungsträger auf der ganzen Welt helfen, einige der vielen Gründe hervorzuheben, die für einen vorsichtigen Umgang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Kulturpflanzen sprechen.