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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 121

Agrarökologie und Genomeditierung

Angesichts der treibenden Rolle des globalen industriellen Ernährungssystems im ökologischen Zusammenbruch wird die dringende Notwendigkeit, die landwirtschaftliche Produktion nachhaltiger und resilienter zu gestalten, allgemein anerkannt. Zu den vorgeschlagenen Lösungsansätzen gehört auch die Kombination von Agrarökologie und den neuen Methoden der Genomeditierung, allen voran CRISPR/Cas9. Dieser Vorschlag beruht auf der Idee, dass die Gentechnik eingesetzt werden kann, um die Ziele der Agrarökologie zu erreichen, indem Nutzpflanzen und -tiere mit nachhaltigkeitsfördernden Eigenschaften gezüchtet werden: Eine Kontroverse, die wir in unserem Artikel näher beleuchten.

Text: Inea Lehner und Johanna Jacobi, ETH Zürich

Die einen halten die Kombination von agrarökologischen und gentechnologischen Ansätzen für einen logischen Schritt auf dem Weg zu agrarökologischer Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit angesichts der sich überschneidenden Umweltkrisen und des anhaltenden Hungers 1, 2, 3. Andere hingegen sehen im Einsatz der Genomeditierung eine potenzielle Unterminierung oder sogar einen Verstoss gegen agrarökologische Prinzipien, die einerseits die sozialökologische Nachhaltigkeit durch ganzheitliche Ansätze im Gegensatz zu hoch technologischen, von oben gesteuerten Interventionen fördern und andererseits das hegemoniale, profitorientierte industrielle Ernährungssystem und seine konzentrierten Machtstrukturen fundamental ändern wollen 4. Diese gegensätzlichen Positionen machen deutlich, dass die Frage nach der Vereinbarkeit der Agrarökologie und der Genomeditierung keineswegs einfach zu beantworten ist.

Genomeditierung in der Diskussion

Die Genomeditierung ermöglicht Eingriffe in das Genom bei einem breiten Spektrum von Anwendungen. Dies könnte nicht nur die Eingriffstiefe der gentechnischen Veränderung erhöhen, sondern auch den gesamten Züchtungsprozess beschleunigen 1. Darüber hinaus könnte sie aufgrund ihrer im Vergleich zu älteren gentechnischen Verfahren geringeren Kosten das Potenzial haben, die Vorteile der genetischen Veränderung zu dezentralisieren und zu verteilen 5, 6. Dadurch könnte sich der derzeitige Schwerpunkt der Gentechnik von einigen wenigen Nutzpflanzen mit begrenzten Anwendungsmöglichkeiten, die in erster Linie einigen wenigen multinationalen Konzernen zugutekommen 7, 8 (siehe Abschnitt «Der systemische Kontext»), auf die Entwicklung von Nutzpflanzen und -tieren verlagern, die zum einen für die kleinbäuerliche Produktion und die Erhöhung der Ernährungssicherheit von Bedeutung sind und zum anderen Eigenschaften aufweisen, die die negativen Umweltauswirkungen der Landwirtschaft verringern 2, 9. Diese Eigenschaften könnten zum Beispiel durch Krankheitsresistenz oder verbesserte Nährstoffnutzung zu einer Verringerung des Einsatzes umweltschädlicher Agrochemikalien führen.

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Die Agrarökologie, die auf Prinzipien wie Vielfalt, Resilienz, Gerechtigkeit und Partizipation beruht, stellt daher eine transformative Gegenbewegung
zum industriellen Ernährungssystem dar, das sich auf Spezialisierung, Uniformierung, Arbeitseffizienz und Gewinnmaximierung stützt. (Bild: Shutterstock)

Agrarökologie als ein alternativer Ansatz auf Systemebene

Die Agrarökologie ist eine ortsbezogene, kontextspezifische Anbaumethode zur Erhöhung der Resilienz und zur Verringerung des Bedarfs an externen Betriebsmitteln, die auf den Grundsätzen der Ökologie beruht. Darüber hinaus wird sie heute weithin als eine völlig andere Vision des Lebensmittelsystems als Ganzes verstanden, die auf Werten wie sozialer Gerechtigkeit und dem Recht auf Selbstbestimmung basiert. Sie schenkt den Machtverhältnissen im Ernährungssystem und der engen Verflechtung innerhalb und zwischen den ökologischen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit auf lokaler und globaler Ebene besondere Aufmerksamkeit. Als solche wird sie als Mittel gesehen, um nicht nur Ernährungssicherheit, sondern Ernährungssouveränität für alle nachhaltig zu erreichen (siehe «Sechs Prinzipien der Technologiesouveränität» auf S. 15).

Die theoretische Möglichkeit der Verteilung und Regionalisierung von Genomeditierungsverfahren stimmt die Befürworter:innen der Integration dieser Technologie optimistisch hinsichtlich ihres Potenzials, die sozialen Grundsätze der Agrarökologie zu erfüllen. Zudem zeigen sie sich überzeugt von ihrer Notwendigkeit, um die Ziele der Agrarökologie bezüglich der ökologischen Nachhaltigkeit so schnell wie möglich zu erreichen. Viele Agrarökolog:innen sind jedoch misstrauisch gegenüber Gentechnologien, die im Rahmen des Paradigmas des industriellen Ernährungssystems entwickelt wurden, da sie dessen Logik fortschreiben und die Bemühungen um echte Ernährungssouveränität oder die Verhinderung eines ökologischen Kollapses zunichtemachen könnten 4. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Gentechnologie tatsächlich aus dem Modus Operandi der industriellen Landwirtschaft herausgelöst werden könnte, um eine technologische Konvergenz zwischen ihr und der Agrarökologie zu ermöglichen.


In Bolivien ist ca. 1/3 der Agrarfläche mit Soja bedeckt, die zu 98 % mit Gentechnik modifiziert ist (Herbizidtoleranz) und zu 90 % exportiert wird. So werden für die lokale Ernährungssicherheit wichtige, hoch diverse Ökosysteme und Landnutzungssysteme durch einheitliche, exportorientierte Landwirtschaftsflächen ersetzt. (Bild: Shutterstock)

Der systemische Kontext

Um die Möglichkeit einer technologischen Konvergenz zwischen Agrarökologie und Genomeditierung abzugrenzen, kann man die Unterschiede in den ihnen zugrundeliegenden Annahmen und Denkweisen untersuchen. Eine weit verbreitete Annahme ist, dass eine Technologie an sich neutral ist und nur ihre Anwendungen problematisch sein können. Dieses Konzept der Technologieneutralität abstrahiert die Idee einer Technologie von den politischen, rechtlichen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Systemen, in denen sie entwickelt wurde und tatsächlich zum Einsatz kommt 9. Im Fall der Gentechnik ist das kapitalistisch-industrielle Ernährungssystem dieser reale Kontext. Die Logik der Technologieneutralität geht davon aus, dass die Ergebnisse der Pfadabhängigkeiten dieses Ernährungssystems, die von seinen Imperativen der Profitmaximierung und des Wachstums diktiert werden, rein zufällig und nicht systematisch sind. Auf diese Weise lässt sich die Technologie leicht in eine Debatte über ihren potenziellen Nutzen für alle Beteiligten einbauen, ohne dass dabei die systembedingten Folgen berücksichtigt werden, die in der Vergangenheit einige auf Kosten anderer begünstigt haben.

Zum Beispiel entfallen derzeit über 90 % aller transgenen GVO-Anbauflächen auf nur drei Pflanzenarten, die alle mit Merkmalen ausgestattet wurden, die sie für die inputintensive Produktion in Monokulturen besser geeignet machen 7. Laut der Technologieneutralität ist diese Tatsache unabhängig von den zu ihrer Herstellung verwendeten Technologien. In Wirklichkeit sind jedoch weder diese Umstände noch die Technologien selbst unabhängig von der politischen Ökonomie, in deren Rahmen die Technologien entwickelt wurden – einer politischen Ökonomie, die Anreize für den Zusammenschluss von Unternehmen sowie den industriellen Anbau und den globalen Handel mit einigen wenigen Nutzpflanzen bietet. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die vier grössten Saatgutunternehmen heute ca. 70 % des Marktes beherrschen. Seit 1996 hat sich die weltweite Anbaufläche für Sojabohnen mehr als verdoppelt, wobei rund 80 % der Gesamtfläche mit einer gentechnisch veränderten Sorte bepflanzt sind. Diese Expansion hat zu massiven Landnutzungsänderungen geführt und ist mit der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und anderer biodiverser Ökosysteme verbunden 11. Bolivien beispielsweise hat eine der höchsten Entwaldungsraten weltweit. Wir haben im Sojaanbau in Bolivien die Verwendung von 64 verschiedenen Pestizidprodukten dokumentiert. Am meisten verwendet werden die Herbizide Glyphosat, Atrazin und Paraquat: alle nach UN-Kriterien hoch gefährliche Pestizide 12. Dieser Zusammenhang ist auch für die Genomeditierung relevant, da auch sie im Rahmen des industriellen Ernährungssystems und der dieses System aufrechterhaltenden strukturellen Abhängigkeiten entwickelt wurde.

Divergierende Denkweisen

Eine wichtige Eigenheit der Debatte, in welcher Genomeditierung als neutral dargestellt wird, äussert sich darin, dass viele der dynamischen Interaktionen in komplexen Ökosystemen in den Prozessen der industriellen Landwirtschaft ausgeklammert werden. Dieses vereinfachte Denken vermittelt den Menschen die Vorstellung, dass es möglich sei, das Funktionieren eines Agrarökosystems vollständig zu verstehen und somit zu kontrollieren. Diese Dichotomie zwischen Mensch und Natur ermöglicht es, letztere zu «natürlichen Ressourcen» zu degradieren, die zur Befriedigung der Bedürfnisse der ersteren abgebaut werden. Diese distanzierte und hierarchische Beziehung zum Lebensnetz und die daraus resultierende Form der extraktiven Landwirtschaft ist jedoch nicht unvermeidlich, allgegenwärtig oder notwendig, wie es in den Denkweisen vieler indigener Gemeinschaften zu beobachten ist. Auch die Agrarökologie versucht, die Verflechtungen innerhalb von (Agrar-) Ökosystemen auf verschiedenen Ebenen zu erkennen und zu respektieren.

Dementsprechend unterstreicht sie die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen gegenwärtigen sozial-ökologischen Krisen. Daraus folgt, dass die Grundursachen der Krisen gemeinsam und ganzheitlich angegangen werden müssen, um sie nachhaltig zu überwinden, anstatt nur ihre Symptome zu beheben.


Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Tage der Agrarökologie» organisiert die SAG ein Podium zu möglichen Lösungen für den Klimawandel und zur Vereinbarkeit von Genomeditierung und Agrarökologie. www.gentechfrei.ch/podium (Bild: Shutterstock)

Technologiesouveränität als Voraussetzung der Technologiekonvergenz

Es gibt viel mehr Aspekte der komplexen Diskussion über die Technologiekonvergenz (z. B. über die Vereinbarkeit von Genomeditierung und Agrarökologie), die eine Betrachtung und Überlegung verdienen, als in diesem Artikel erörtert werden konnten. Eine Möglichkeit besteht darin, sich an den Grundsätzen der Ernährungssouveränität zu orientieren. Ernährungssouveränität bedeutet eine Umverteilung der Macht, so dass die Menschen die Kontrolle darüber haben, was sie essen und wie ihre Nahrungsmittel produziert werden. Dabei muss damit gerechnet werden, dass die Genomeditierung nicht neutral ist, da sie im Kontext des industriellen Ernährungssystems entwickelt wurde. Die strukturellen Abhängigkeiten dieses Systems müssen bewusst überwunden werden. Dies würde ganzheitliche Problemanalysen sowie die integrative und gleichberechtigte Beteiligung lokaler Gemeinschaften an der Konzeption, Entwicklung und Anwendung der Technologie voraussetzen, z.B. durch Prozesse der deliberativen Demokratie.

Kurz gesagt, die Technologiekonvergenz von Genomeditierung und Agrarökologie könnte möglich sein, wenn sie wirklich auf der Grundlage der im «Wissen» auf S.15 dargestellten Technologiesouveränität erfolgen würde 10. Um mit den Prinzipien der Ernährungs- und Technologiesouveränität übereinzustimmen, müsste die Genomeditierung letztlich die Transformation des industriellen Ernährungssystems auf der Grundlage der Werte Vielfalt, Resilienz, Gerechtigkeit und Partizipation ermöglichen. Damit dies möglich ist, müsste jedoch auch das vorherrschende Narrativ, das die Beziehung und Interaktion der Menschen mit dem Rest des Lebensnetzes bestimmt, transformiert werden: von einem Narrativ der Beherrschung und Kontrolle zu einem Narrativ der Verflechtung und Fürsorge.

 Vorstellung Autorinnen


Johanna Jacobi ist Assistenzprofessorin
für agrarökologische Transition an der ETH Zürich. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Agrarökologie als Ansatz, transformative Wissenschaft und soziale Bewegung.


Inea Lehner ist politische Agrarökologin
im letzten Semester ihres Masters an der ETH. In ihrer Masterarbeit beschäftigt sie sich mit dem Potenzial deliberativ-demokratischer Prozesse, transformative Ideen zur Überwindung der sozialen und ökologischen Krisen unserer Ernährungssysteme zu entwickeln.

1     Lotz LAP et al. 2020 Genetic engineering at the heart of agroecology. Outlook on Agriculture, 49 (1), 21–28.
2     Hodson E et al. 2021 Boost nature positive production: a paper on action track 3. A paper from the Scientific Group of the UN Food Systems Summit. https://sc-fss2021.org/wp-content/uploads/2021/04/Action_Track_3_paper_Boost_Nature_Positive_Production.pdf
3     Niggli U 2022 Gentechnik in der Landwirtschaft. Der Pragmaticus. www.derpragmaticus.com/r/gentechnik-landwirtschaft
4     Holt-Giménez E, Altieri MA 2013 Agroecology, food sovereignty and the new green revolution. Journal of Sustainable Agriculture, 37(1), 90–102.
5     Rotz S et al. 2019 The Politics of Digital Agricultural Technologies: A Preliminary Review. Sociologia Ruralis, 59(2), 203–229.
6     LaManna CM, Barrangou R 2018 Enabling the Rise of a CRISPR World. The CRISPR Journal, 1(3), 205–208.
7     James C 2015 Global Status of Commercialized Biotech/GM Crops: 2014. ISAAA brief No. 49. International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications (ISAAA): Ithaca, NY.
8     Mooney P 2018 Blocking the Chain: Industrial food chain concentration, Big Data platforms and food sovereignty solutions. ETC Group. www.etcgroup.org/sites/www.etcgroup.org/files/files/blockingthechain_english_web.pdf
9     IGI (Innovative Genomics Institute) 2021 Genome editing of the staple crop cassava to eliminate toxic cyanogen production. www.innovativegenomics.org/projects/genome-editing-staple-crop-cassava-eliminate-toxic-cyanogen-production/
10   Montenegro de Wit M 2021 Can agroecology and CRISPR mix? The politics of complementarity and moving toward technology sovereignty. Agriculture and Human Values, 39(2), 733–755.
11   Ritchie H, Roser M 2021 Soy. OurWorldInData.org. www.ourworldindata.org/soy#:~:text=Crop%20yields%20have%20not%20been,soy%20has%20more%20than%20quadrupled.
12   Bascopé Zanabria R, Bickel U, Jacobi J 2019 Plaguicidas químicos usados en el cultivo de soya en el Departamento de Santa Cruz, Bolivia: riesgos para la salud humana y toxicidad ambiental. Acta Nova, 9 (3), 386-416.