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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 122

Genomeditierung ist keine «Präzisionszüchtung»

Deregulieren heisst das neue Zauberwort in der gegenwärtigen krisengeschüttelten Welt. In Grossbritannien hat die Regierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der darauf abzielt, die regu–latorischen Kontrollen im Zusammenhang mit der Genomeditierung zu schwächen oder gar aufzuheben. Er trägt den Namen «Genetic Technology (Precision Breeding) Bill». Auch in der EU haben verschiedene Gruppen, die sich für die Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren einsetzen, den Begriff Präzisionszüchtung übernommen, um die neue Gentechnologie zu beschreiben.

Text: Zsofia Hock und Paul Scherer

Im September dieses Jahres wandten sich 80 namhafte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik mit einem offenen Brief gegen die Deregulierungsabsichten und die dabei verwendeten Begrifflichkeiten. Der Begriff Präzisionszucht zur Beschreibung der Genomeditierung sei sowohl technisch wie wissenschaftlich ungenau und führe daher das Parlament, die Regulierungsbehörden und die Öffentlichkeit in die Irre. Gemäss ihrer persönlichen Fachkompetenz sei Genomeditierung einerseits nicht präzise und andererseits entspreche sie nicht der allgemeingültigen Definition von Züchtung, schreiben sie.

Was es mit der Präzision auf sich hat

«Der einzige Aspekt bei der Genomeditierung, der präzise ist, ist der anfängliche Doppelstrangschnitt in der DNA, der auf eine bestimmte Stelle ausgerichtet werden kann. In den verschiedenen Phasen des gentechnischen Eingriffs treten jedoch auch verschiedene Arten von unbeabsichtigten Schäden auf, sowohl an der beabsichtigten Editierstelle (on target) als auch an anderen Stellen im Genom des Organismus (off target)», sagt der britische Biotechnologe Michael Antoniou, der den offenen Brief initiiert hat.

Was bedeutet der Begriff Züchtung

Als Dozent für Molekulargenetik und Leiter der Genexpression and Therapy Group am King’s College London verfügt Antoniou über langjährige Erfahrung in der Erforschung der molekularen Mechanismen der Genregulation. Er stützt sich auf zahlreiche von Experten begutachtete Studien, die auf unbeabsichtigte genetische Veränderungen durch die neuen Verfahren hinweisen. Eine Durchsicht der aktuellen Literatur zeigt vor allem auch, dass sich die durch Genomeditierung hervorgerufenen Veränderungen von solchen unterscheiden, die bei der konventionellen Züchtung (zwischen sexuell kompatiblen Organismen) auftreten, einschliesslich der sogenannten Mutagenese-Züchtung. Denn durch die Technik der Genomeditierung wird das gesamte Genom für Veränderungen zugänglich, während bei den obengenannten Züchtungsprozessen einige Regionen des Genoms vor Mutationen geschützt sind. Wie jüngste Forschungen an Pflanzen bestätigen, sind dies Bereiche des Genoms, die an überlebenswichtigen Prozessen des Organismus beteiligt sind. Diese Erkenntnisse stehen im klaren Widerspruch zur Behauptung gentechnikbefürwortender Kreise, mit einer Genschere induzierte Mutationen seien nicht von natürlichen zu unterscheiden. Bei der Genomeditierung handelt es sich um eine künstliche gentechnische Veränderung im Labor, die einen direkten Eingriff des Menschen in das Genom beinhaltet (siehe Abbildung auf Seite 9). Es sei folglich offensichtlich, dass dieses Verfahren keine Ähnlichkeit habe mit Züchtung, wie sie normalerweise definiert und verstanden werde, heisst es im offenen Brief an die Behörden in Grossbritannien.

Leindotter querformat (Quelle: Wikipedia)

Gentechnische Veränderungen beim Leindotter wirken sich auf das gesamte Nahrungsnetz aus, an dem er teilhat – etwa auf Bestäuber–insekten, die sich von seinem Nektar und Pollen ernähren. Wird die Fettsäurezusammensetzung vom Leindotter gentechnisch angepasst, kann dies einen Einfluss auf die Lernfähigkeit der Bienen haben, welche die Blüten der Pflanze besuchen (Bild: Wikipedia).

Beschönigende Begriffe sind Bestandteil einer Marketingoffensive der Gentechnikindustrie

Besonders seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH im Juli 2018, die neuen Gentechnikverfahren seien Gentechnik und gemäss den gültigen Gentechnikrichtlinien zu regulieren, versuchen Gentechnikin–dustrie und -forschung mit aufwendigen und wohl auch teuren Marketing–kampagnen Öffentlichkeit und Aufsichtsbehörden weltweit davon zu überzeugen, dass die Technologie der Genomeditierung natürlich, genau, kontrollierbar und daher sicher sei. Argumentiert wird dabei mit Begriffen und Verkürzungen, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Hinter dem Versuch, die fundamentalen Unterschiede zwischen Gentechnik und traditioneller Züchtung zu verwischen, verbirgt sich insbesondere auch die Absicht, die Reichweite von Patenten auszudehnen, so dass diese sich auf alle Organismen (Pflanzen oder Tiere) mit der im Patent beschriebenen Eigenschaft erstrecken.

Vielfältige Fehlerrisiken vs. Abschaffung der unabhängigen Risikoprüfung

Sich einen Überblick zu verschaffen, was Genomeditierung beinhaltet, ist in der Tat viel komplexer, als dies von industrienahen Forschenden gemeinhin dargestellt wird. Die neue Gentechnik beschränkt sich nicht auf die meistumschwärmte Genschere CRISPR/Cas9. Gemäss Recherchen1 der deutschen Fachstelle Gentechnik und Umwelt (FGU) dominieren seit 2014 Projekte mit der Genschere CRISPR/Cas9 die marktorientierten Vorhaben bei Pflanzen (174 Studien). Es wurden aber auch neuere Verfahren, wie CRISPR/Cpf18, CRISPR/Cas13a und Base Editing verwendet und selbst die älteren zielgerichteten Schneideenzyme, TALENs (künstliche sequenzspezifische Restriktionsenzyme) und Zinkfinger-Nukleasen, wurden genutzt, wenn auch zu einem geringeren Anteil. Ungefähr 80 % aller Genomeditierungsversuche verwendeten das Bakterium Agrobacterium tumefaciens, um die genetische Information zur Bildung der Genschere in die pflanzlichen Zellen einzuschleusen, rund 10 % den Partikelbeschuss. Beide Verfahren wurden bereits bei der klassischen Gentechnik verwendet und können bekanntlich unbeabsichtigte Fehler im Erbgut verursachen. Nur ein geringer Anteil (ca. 1 %) schleust die Genschere als bereits gebildeten Enzymkomplex ein. Ein Hintergrundpapier der FGU zeigt, dass jede der unterschiedlichen Anwendungen dieser Techniken mit eigenen spezifischen Risiken verbunden ist. Eine Recherche auf Google Scholar zeigt, dass die Genomeditierung bei weitem nicht so weit entwickelt ist, wie dies gerne dargestellt wird. Allein im Jahr 2021 wurden über 10 000 Studien zum Thema Verbesserungen der Genschere publiziert. Bereits kleinste Veränderungen mit der Genschere können auch ohne Einfügung von artfremder DNA (Transgen) Genfunktionen so beeinflussen, dass Stoffwechselwege und Inhaltsstoffe erheblich verändert werden, besonders wenn sie mehrfach und in Kombination durchgeführt werden (sogenanntes Multiplexing). Daraus resultieren neue, nicht vorhersehbare Risiken wie beispielsweise die Produktion neuer Toxine oder Allergene. Ob respektive welche Auswirkungen solche Veränderungen auf ein Ökosystem haben, in dem Pflanzen Teil eines Nahrungsnetzes sind und mit verschiedenen anderen Organismen in wechselwirkenden Beziehungen stehen, ist nur mit einer umfassenden Prüfung feststellbar.

Risikoprüfung: Prozessorientiert statt produktbasiert

Dieser mangelnde Wissensstand zu den Risiken spricht für die Anwendung strengerer Vorschriften bei der Zulassung genomeditierter Pflanzen und Tiere und keinesfalls für eine Abschwächung. Würde die Risikoprüfung den Herstellern überlassen, könnte dies dazu führen, dass unsichere Produkte auf dem Markt landen. Ein Beispiel hierfür ist der genomeditierte Stier Buri2. Mit ihm wollte eine US-Firma hornlose Kühe für den brasilianischen Markt züchten. Doch dann entdeckten Forschende der US-Lebensmittelbehörde FDA, dass Buri in seinem Erbgut neben der Änderung, die zur Hornlosigkeit führt, zusätzlich auch Antibiotikaresis–tenzgene besitzt, die aus Bakterien stammen und beim Herstellungspro–zess aus technischen Gründen in die Zellen eingeführt worden waren. Von der Herstellerfirma war dies nicht entdeckt oder nicht kommuniziert worden.

Dasselbe Risiko besteht auch bei genomeditierten Pflanzen, wie Studien bei Mais, Reis und Soja belegen, bei denen die genetischen Informationen der Genschere CRISPR/Cas mit Hilfe des Agrobakteriums eingeschleust wurde3.

Da solche unentdeckten Veränderungen im Genom die Lebensmittel–sicherheit beeinflussen können, ist eine unabhängige, staatliche Sicherheitsprüfung unerlässlich. Eine verantwortungsvolle Risiko–beurteilung nach dem Vorsorgeprinzip kann nur dann durchgeführt werden, wenn den Regulierungsbehörden eine genaue Charakterisierung eines jeden Produktes vorgelegt wird, das auf den Markt gebracht werden soll. Je genauer Herstellerfirmen den Entstehungsprozess dokumentieren müssen, desto besser kann bei einem Zulassungsantrag die  Risiko–prüfung durchgeführt werden. Wie das Beispiel des Stiers Buri zeigt, ist dabei zu berücksichtigen, dass in den allermeisten Fällen eine Kombination von Techniken der alten und der neuen Gentechnik eingesetzt wird und neue Produkte mit den Fehlern beider Techniken behaftet sein können.

In Grossbritannien wurde daher die Forderung erhoben, dass der Begriff «precision breeding» ( Präzisionszüchtung) aus dem Titel des Gesetzent–wurfs gestrichen und durch eine korrekte und rein beschreibende Termi–nologie ersetzt werden müsse. Dies gilt nicht nur für  Grossbritannien. Weltweit sollten Regierungen und Regulierungsbehörden dazu angehalten werden, die Verwendung von irreführenden Marketingbegriffen zur Beschreibung der neuen Gentechnik zu vermeiden und stattdessen wissenschaftlich und technisch korrekte Begriffe mit allgemein anerkannten Definitionen zu verwenden.

Die «normative Kraft des Fiktionalen» am Beispiel der Schweiz

Wie erfolgreich solche (Des-)Informationskampagnensein können, zeigt das Beispiel Schweiz. Bereits bevor im Herbst 21 im Parlament darum gestritten wurde, ob bei der Verlängerung des Gentechnikmoratoriums, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, auch die neuen Gentechnikverfahren eingeschlossen seien, lancierten die Gentechnikindustrie und die mit ihr verbandelten Wissenschaftskreise mit der Online-Plattform Science-based.ch eine aufwendige Werbekampagne, die sich solch vereinfachter Begriffe und Definitionen bediente, ohne transparent zu deklarieren, wer die Kampagne finanzierte. Ihre Argumente: Die Verfahren seien präzise und sicher. Bis 2050 brauche es eine Steigerung der Nahrungsmittel–produktion um 50 %, dies sei nur durch Innovation – welche mit Gentechnik gleichgesetzt wird – möglich. Wenig später wurde von Detailhandel und Produzentenorganisationen die Internetsite «Sorten für morgen» aufgeschaltet. Mit Erfolg. Die Medien berichteten ausführlich, der Ständerat kippte und verhinderte, dass die Moratoriumsverlängerung uneingeschränkt auch für die Genomeditierung gilt, wie dies zuvor der Nationalrat beschlossen hatte.

Entstehung einer Gentechpflanze

 Legende Entstehung Gentechpflanze Teil 1Legende Entstehung Gentechpflanze Teil 2


1     Hintergrundpapier: CRISPR/Cas – Beschreibung der Möglichkeiten. Fachstelle Gentechnik und Umwelt. www.fachstelle-gentechnik-umwelt.de/wp-content/uploadsFGU_Hintergrundpapier_Moeglichkeiten3.pdf
2     Gentechnik bei Tieren – Boom durch Genomeditierung, Studie SAG und Schweizer Tierschutz 2022. www.gentechfrei.ch/de/themen/nutztiere/3070-tierstudie
3     Hintergrundpapier: 2. Teil der Risiken: Inhärente Risiken von CRISPR/Cas Anwendungen, Fachstelle Gentechnik und Umwelt. www.fachstelle-gentechnik-umwelt.de/wp-content/uploads/FGU_CRISPR_Risiken2.pdf

Gentechfrei Magazin Nr. 122

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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 119: Gentechnik bei Nutztieren

Boom dank Genomeditierung

Die Entwicklung genomeditierter GV-Nutztiere boomt. Dies in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Besorgnis über das Wohlergehen industriell gehaltener Nutztiere wächst. Er fällt auch in die Zeit, in der Fleisch und Milchprodukte aus Massentierhaltung die Klima- und Biodiversitätskrise befeuern und eine zunehmende Zahl von Forschenden und Institutionen dazu aufruft, den Verzehr tierischer Erzeugnisse zu reduzieren. Wie trägt die Entwicklung genomeditierter GV-Nutztiere zur Lösung der bestehenden Probleme bei?

Text: Zsofia Hock

Seit Mitte der 1980er-Jahren erprobt die industrielle Tierzucht gentechnische Methoden. Der Weg zur Anwendung der Gentechnik an Nutztieren wurde durch die Entwicklung diverser Technologien geebnet: u. a. der künstlichen Besamung, der In-vitro-Fertilisation und des Embryotransfers. Diese hatten den Zuchtaufwand deutlich gesenkt und verstärkten die Tendenz, Tiere als reine Produktionsfaktoren zu behandeln.

Doch die Erfolge der klassischen Gentechnik sind ziemlich mager geblieben. 1985 wurde erstmals gezeigt, dass sich auch Nutztiere gentechnisch verändern lassen. In den folgenden 30 Jahren ist jedoch lediglich ein einziges GV-Tierprodukt entwickelt und auf den Markt gebracht worden: Das sogenannte GalSafe-Schwein der US-Firma Revivicor. Ursprünglich für humanmedizinische Zwecke entwickelt, wurde das Fleisch dieser Tiere für Menschen mit einer Allergie gegen Schweinefleischzugelassen. Allerdings wird noch immer nach Partnerfirmen gesucht, die am Verkauf von diesem Produkt interessiert wären.

Die bisher magere Bilanz der klassischen Gentechnik lässt sich auf mehrere Stolpersteine zurückführen. Einerseits war der Transfer artfremder Gene teuer, technisch mühselig und führte oft zu kranken und fortpflanzungsunfähigen Tieren. Andererseits fehlte auch die Nachfrage als Marktanreiz für die Entwicklung weiterer Produkte: Diese stiessen bei einer grossen Mehrheit der Bevölkerung auf Ablehnung.

Genschere befeuert Forschung

Mit der Genschere CRISPR/Cas hat sich die Lage schlagartig verändert. Knapp 10 Jahre nach ihrer Entdeckung lassen sich mit der Suchmaschine Google Scholar bereits über hundert Projekte mit genomeditierten Nutztieren für die Landwirtschaft finden. Die meisten Forschungsvorhaben fokussieren sich auf Schweine, gefolgt von Rindern, Schafen, Ziegen und Geflügel. Gründe für diesen Boom gibt es mehrere. So sind Eingriffe mit CRISPR im Vergleich zur klassischen Gentechnik schneller, besser steuerbar und in der Phase der Vorlaufforschungen auch kostengünstig. Besonders einfach lassen sich Tiere herstellen, bei denen beide Kopien eines Zielgens ausgeschaltet werden. Dementsprechend entstehen bei der Mehrheit der laufenden Projekte solche Knockout-Tiere. Das Hauptmotto der allermeisten Forschungsvorhaben lautet nach wie vor: mehr Fleischertrag. Bei anderen Projekten wird das Tierwohl als Beweggrund vorgeschoben. Um den Fleischertrag zu steigern, wird meistens ein Gen ausgeschaltet, das natürlicherweise das Muskelwachstum hemmt. Entsprechende Vorhaben gibt es nicht nur bei Schweinen und Rindern, sondern auch bei Hühnern, Schafen, Ziegen, Kaninchen und Wachteln. Diese Projekte degradieren die Tiere nicht nur zu blossen Fleischlieferanten, sondern machen sie oft auch krank.

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Das Nutztier, das am häufigsten gentechnisch verändert wird, ist das Schwein. 38 Prozent von 113 CRISPR-Nutztier-Foschungsprojekten im Zeitraum von 2012 bis 2021 haben das Borstenvieh im Visier.


Mit den neuen technischen Möglichkeiten fliessen wieder mehr private und öffentliche Gelder in die Entwicklung von Gentech-Nutztieren. Dabei verfolgen private Unternehmen von kommerziellen Interessen befeuert entweder eigene Forschungsziele oder unterstützen entsprechende universitäre Projekte. Die meisten Forschungsprojekte laufen in China, gefolgt von den USA und Grossbritannien. Die EU-Länder hingegen sind lediglich zu einem kleinen Prozentsatz an diesen Entwicklungen beteiligt. Die aktuell aktivsten Firmen Recombinetics und Genus stehen bereits mit Zulassungsbehörden in Kontakt, um ihre GV-Nutztiere auf den Markt zu bringen. Das auf die Herstellung genomeditierter Tiere spezialisierte US-Unternehmen Recombinetics und seine Tochterfirma Acceligen forschen u. a. intensiv an hornlosen und hitzetoleranten GV-Rindern für Südamerika (Argentinien) und an GV-Schweinen ohne Hoden für die USA, um Kastrationen überflüssig zu machen. Der britische Konzern Genus, der zu den weltweit führenden Schweine- und Rinderzüchtern gehört, will hingegen Schweine lancieren, die resistent gegen das PRRS-Virus sind – ein Erreger, der bei Sauen zu Fruchtbarkeitsstörungen und bei Ferkeln zu Fieber, Fressunlust und Tod führen kann. In den USA hat der Konzern bereits einen Zulassungsantrag eingereicht.

Gesundheitsrisiken und bedenkliche Deregulierung

Was den Boom genomeditierter Nutztiere ebenfalls begünstigt, ist das sich ändernde regulatorische Umfeld. Mehrere Länder – darunter Japan, Kanada, Brasilien, Argentinien und Australien – haben entschieden,  genomeditierte GV-Nutztiere ohne artfremde Gene weniger streng als herkömmliche GV-Nutztiere zu regulieren.

Die Deregulierung findet jedoch nicht überall statt. In der EU hat sich die EU-Kommission 2021 gegen eine Deregulierung ausgesprochen. In den USA und China stehen Änderungen der Vorschriften zwar zur Diskussion, doch beide Länder regulieren die Genomeditierung bei Nutztieren nach wie vor gleich streng wie die klassische Gentechnik.

Kühe
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In den USA wurden kürzlich hitzetolerante CRISPR-Rinder der Firma Recombinetics zugelassen. Die angeblichen Vorteile des Eingriffes und ob es einen Bedarf für derartige Tiere gibt, ist fraglich. Zudem können die erwünschten Merkmale auch mit konventioneller Zucht erreicht werden. Wird das Gentechnikgesetz gelockert, könnte Zuchtmaterial dieser Tiere auch in die Schweiz gelangen – ohne Risikoprüfung.


In den Ländern mit einer laschen Regulierung der Gentech-Nutztiere könnten die Produkte von Firmen wie Genus und Recombinetics bald ohne umfassende Sicherheitstests und ohne Kennzeichnung verkauft werden. Für die Herstellerfirmen kein Problem – im Gegenteil: Sie können nicht nur Kosten bei den Sicherheitstests sparen, sondern müssen auch nicht befürchten, dass Fleisch oder Milch ihrer Tiere als GVO deklariert und deshalb von der Konsumentenschaft abgelehnt wird.

Doch wird die Kennzeichnungspflicht aufgehoben, verlieren Konsumierende die Wahlfreiheit, ob sie Gentechnik auf ihrem Teller möchten oder nicht. Aus Sicht des Konsumentenschutzes ist eine Lockerung der Vorschriften also unerwünscht. Werden die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen gelockert oder den Firmen gänzlich überlassen, kann zudem auch die Sicherheit der Produkte von genomeditierten GV-Nutztieren nicht mehr garantiert werden.

Bakteriengene im Rindererbgut – Warum eine unabhängige Risikoprüfung unerlässlich ist

Dass Bedenken im Bezug auf die Sicherheit der von den Herstellern selbst geprüften Produkte nicht unberechtigt sind, unterstreicht das Beispiel des von Recombinetics genomeditierten Bullen namens Buri. Mit ihm wollte die US-Firma die oft kritisierte, schmerzhafte mechanische Enthornung von Kälbern überflüssig machen, um in den Ställen Verletzungen zu vermeiden. Obwohl 100-prozentig genetisch reine Kühe angekündigt waren, wurde bei einer genaueren Überprüfung der US-Lebensmittelbehörde FDA festgestellt, dass Buri in seinem Erbgut neben der Änderung, die zur Hornlosigkeit führt, zusätzlich auch aus Bakterien stammende Antibiotikaresistenzgene besitzt. Die Gene wurden bei der Herstellung aus technischen Gründen in die Zellen eingeführt und könnten auf Verbraucherseite ein Risiko darstellen. Solche und ähnliche ungewollte Fehler sind bei der Anwendung der Genschere keine Seltenheit. Bei einer Deregulierung hätte jedoch niemand die Präsenz solcher Gene kontrolliert.

Genomeditierung: Tierwohl oder Tierleid?

Die Fehleranfälligkeit der Genomeditierung tangiert nicht nur den Konsumentenschutz, auch der Tierschutz kann betroffen sein. Denn unbeabsichtigte Änderungen im Erbgut können die Gesundheit und das Wohlbefinden der editierten Tiere negativ beeinflussen. Tierwohl und -gesundheit sind zusätzlich beeinträchtigt, wenn die Genomeditierung in Kombination mit dem Klonen erfolgt, wie dies bei 90 Prozent der Projekte der Fall ist, bei denen mittels Genomeditierung Gene ins Erbgut von Tieren eingefügt werden. Die Hälfte der Projekte, bei denen Gene ausgeschaltet werden, greift ebenfalls auf das Klonen zurück. Klonen ist mit erheblichem Tierleid verbunden und bleibt nach wie vor sehr ineffizient, führen doch nur gerade 1 bis 5 Prozent der in ein Leihmuttertier übertragenen Klonembryonen zu Nachkommen.

Das bei Genomeditierungsprojekten oft als Beweggrund vorgeschobene Tierwohl ist also mit Vorsicht zu geniessen. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass marktwirtschaftliche Interessen überwiegen. Auch die Rechtfertigung vieler Ziele der Genomeditierung von Nutztieren lässt sich in vielerlei Hinsicht kritisch bewerten. Genau dies ist der Fall bei den Genomeditierungsprojekten, die darauf abzielen, die Kastration männlicher Mastferkel überflüssig zu machen. Die Entmannung ist eine heute umstrittene Methode, mit der sich der Ebergeruch verhindern lässt, der manchen Menschen den Genuss von Fleisch männlicher Schweine verdirbt. Eine Alternative sollen männliche Ferkel darstellen, die so editiert sind, dass sie entweder weibliche Geschlechtsorgane bilden oder ohne Hoden zur Welt kommen. Dass es die Lösung aus dem Genlabor jedoch gar nicht braucht, zeigt die sogenannte Immunokastration. Die Impfung mit dem Wirkstoff Improvac verschiebt den Beginn der Pubertät der Eber hinter den Schlachttermin und bietet dadurch bereits heute eine tierfreundliche Alternative zur chirurgischen Kastration.

Ein Bericht der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth International kommt zum Schluss, dass Genomeditierung vor allem dazu verwendet wird, Nutztiere besser an die Bedingungen der industriellen Haltungssysteme anzupassen. In einer Zeit, in der ein Weniger an Fleisch und Milchprodukten ein Mehr an Klima-, Artenvielfalt- und Tierschutz ist, boomt somit ein Forschungszweig, der darauf abzielt, die Massentierhaltung zu stärken. In der Schweiz verbietet das Gentechnikgesetz die Erzeugung gentechnisch veränderter Wirbeltiere für landwirtschaftliche Zwecke. Doch die Industrie und die damit verbundenen Forschungskreise wollen neue Verfahren wie die Genomeditierung mit CRISPR aus dem Gentechnikrecht ausnehmen. Damit könnten bald gentechnisch veränderte Kühe, Schweine, Ziegen, Schafe und Hühner auf Schweizer Höfen und Weiden leben. Ob das wünschenswert ist? Für eine Landwirtschaft, die Eier, Milch und Fleisch sicher und marktorientiert produzieren will, bietet der Verzicht auf genomeditierte GV-Nutztiere den besseren Weg.

 

Tierstudie


Mit der Genschere CRISPR/Cas erlebt die gentechnische Veränderung von Tieren einen Boom. Woran wird geforscht? Welche neuen Risiken ergeben sich? Was bedeutet der neue Schub an veränderten Tieren für Umwelt, Konsum und für die Tiere selbst? Diese Fragen erläutert der Bericht der SAG und des Schweizer Tierschutzes STS aus Sicht des Tier-, Umwelt- und
Konsumentenschutzes: www.gentechfrei.ch/tierstudie

 PDF Gentechfrei Magazin Nr.119

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(Bild: Judith Feher)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 117

Der Wert der Vielfalt ist unbezahlbar

Gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen als nahtlose Fortsetzung des uralten Prozesses der Domestikation? Die neue Gentechnik füge sich bestens in diese über Jahrtausende fortlaufende Entwicklung ein. Mit solchen Behauptungen versuchen Agrogentechnikbefürwortende, die Öffentlichkeit für ihre Produkte zu gewinnen. Doch Genommanipulation im Labor und Domestikation sind keineswegs vergleichbare Prozesse. Nicht nur auf biologische und soziopolitische Abläufe wirken sie sich unterschiedlich aus – auch die Art und Weise, wie sie Agrobiodiversität und Saatgutsouveränität beeinflussen, lässt sich kaum vergleichen.

Text: Zsofia Hock

Domestikation – die Umwandlung von Wildpflanzen in Kulturpflanzen durch Zuchtauslese – ist ein langer Entwicklungsprozess. Mit der Veränderung natürlicher Ökosysteme durch die landwirtschaftliche Tätigkeit des Menschen entstanden neue Selektionskräfte. Diese wiederum riefen Anpassungen im Genom, im Erscheinungsbild oder im Verhalten der Pflanzen hervor. So verloren beispielsweise viele Kulturarten ihre Fähigkeit, sich auch ohne menschliche Hilfe zu verbreiten, weil die entsprechende Selektionskraft wegfiel. Sie brauchten diese Fähigkeit nicht mehr,um sich zu vermehren.

Die Bühne für die Abläufe der Domestikation bildeten lokale landwirtschaftliche Betriebe. Die treibende Kraft waren lokale Bedürfnisse. Auslese und Kultivierung lagen dabei in der Hand der Bäuerinnen und Bauern – und basierten oft auf einer lebenslangen Verbindung zwischen Menschen und Sorten.

Gentechnik führt zur Zentralisierung und Enteignung von Wissen und Besitzrechten

Sowohl Pflanzenzüchtung als auch Gentechnik unterscheiden sich grundlegend von diesem Prozess, da sie die Pflanzenzüchtung von den landwirtschaftlichen Betrieben weg und hin zu zentralisierten Institutionen verlagern. Dies bestätigt eine neue Studie von US-Forschenden inder Fachzeitschrift «Agriculture and Human Values». Der Trend, der mit der Institutionalisierung der Züchtung angefangen hat, wird von der Gentechnik auf das Extremste verstärkt: Nicht nur dominieren die von der Agrarindustrie als nützlich erachteten Merkmale die Forschung und Entwicklung, sondern auch das Wissen und die Arbeit rund um die pflanzengenetischen Ressourcen wird vom landwirtschaftlichen Betrieb getrennt. Die Zucht der Pflanzen findet nicht mehr auf dem Feld statt, sondern im Labor. Das Privileg, über Saatgut und Wissen zu verfügen, wurde den Bäuerinnen und Bauern weggenommen und zuerst in Institutionen, mit der Entwicklung der Gentechnik dann in die Hände weniger Grosskonzerne verlagert. Patentgeschütztes Saatgut wurde zum geistigen Eigentum und ist somit nicht mehr frei austauschbar oder weiterverwendbar, um noch mehr Vielfalt zu erschaffen.

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Die treibende Kraft bei der Domestikation waren lokale Bedürfnisse. Auslese und Kultivierung lagen dabei in der Hand der Bäuerinnen und Bauern.


Im Sinne der Zentralisierung und der Enteignung des Wissens und der Rechte rund um das Saatgut ist also tatsächlich eine gewisse historische Kontinuität zu bemerken – nicht aber im biologischen Sinn. Während bei der Domestikation aus – genetisch gesehen – diversen Populationen ebenso vielfältige Populationen entstehen, schrumpft die Agrobiodiversität in Folge der Tätigkeit von Züchterinnen und Gentechnikern. Denn dabei wird aus vielfältigen Populationen geschöpft, um durch direkte Selektion genetisch homogene Pflanzen mit besonders wünschenswerten Merkmalen herzustellen.

Irreführende Gehirnwäsche

Aussagen wie «die Menschheit hat bereits vor 10 000 Jahren angefangen, Pflanzen für die Nahrungsmittelproduktion genetisch zu verändern» oder «fast alle aktuell konsumierten Nahrungspflanzen sind grundlegend anders als ihre natürlichen Vorfahren – sie sind über Tausende von Jahren manipuliert worden» sind mittlerweile im öffentlichen Diskurs weit verbreitet. Autoren und Wissenschaftsjournalistinnen, die Domestizierung und Gentechnik in einen Topf werfen, wollen ihrer Leserschaft einreden, dass die Ängste der gentechnikskeptischen Öffentlichkeit irrational und das Resultat eines Mangels an Wissen über Pflanzenbiologie sind. Somit wird versucht, von Bedenken beispielsweise über die unbeabsichtigten Folgen der Technologie abzulenken.

Biodiversitätsverlust ist soziopolitischen Ursprungs

Doch solche Aussagen ignorieren die Kritik an den soziopolitischen Aspekten des intensiven landwirtschaftlichen Systems. Der Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität hat seinen Ursprung nicht in der Biologie, sondern lässt sich vielmehr auf soziopolitische Auslöser zurückführen. Patente auf gentechnisch veränderte Sorten engen die Verfügungsrechte über Sorten ein. Mit der Kon-zentration der Nutzungsrechte bei begrenzten staatlichen und privaten Körperschaften geht wertvolles Wissen verloren und das dezentralisierte System der bäuerlichen Züchtung – der Schlüssel zur Erhaltung der biologischen Vielfalt – wird gesprengt.

Wie sehr die Dominanz der wenigen grossen Agrarunternehmen mit ihrem einheitlichen Angebot die Agrobiodiversität bedroht, lässt sich gut quantifizieren: Wurden in der Vergangenheit etwa 7000 Pflanzenarten zwecks Ernährung angebaut, tragen heute nur noch etwa 80 Sorten massgeblich zur globalen Nahrungsversorgung bei. Die Hälfte aller pflanzenbasierten Kalorien stammt aus nur drei Arten Reis, Mais und Weizen. In Mexiko gingen zwischen 1930 und 1970 etwa 80 Prozent der Maissorten verloren. Dieser Schwund wird durch den massiven Ausbau der kommerzialisierten, industriellen Landwirtschaft weiter verstärkt, die auf immer grösseren Flächen Cash Crops wie Soja für die Tiermast anbaut. Zu nennen ist auch der Aufkauf riesiger Landflächen, das Land Grabbing, durch Investmentfonds, Banken und Regierungen, das mit der Vertreibung der ansässigen Bevölkerung, einer Zerstörung der meist kleinbäuerlich und vielfältig strukturierten Land- und Forstwirtschaft und der Anlage neuer Monokulturen und Plantagen verbunden ist.

In den USA, wo institutionalisierte Pflanzenzüchtung und Gentechnologie die On-Farm-Züchtung fast vollständig ersetzt haben, ist dieses Szenario bereits Realität. Mangels strenger Regulierung der neuen Gentechnikverfahren könnte das USA-Szenario aber schnell auch ein globales werden.

Nur Verfahren, die sich über lange Zeit bewährt haben, sollten von dieser Kontrolle ausgenommen werden. Die neuen Techniken müssen so lange einer Überprüfung unterzogen werden, bis sie gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden, folgert das Gutachten. Selbstverständlich ist ein Nullrisiko nicht möglich, doch sind strengeAuflagen umso notwendiger, als bisher die möglichen Risiken den erwarteten (mageren bis nicht vorhandenen) Nutzen der GVO übersteigen.

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(Bild: Shutterstock)


In Mexiko gingen zwischen 1930 und 1970 etwa 80 Prozent der Maissorten verloren, in den USA rund 80 bis 95 Prozent der Apfel-, Kohl-, Feldmais-, Erbsen- und Tomatensorten und in China Tausende Weizensorten. Ähnliche Verluste gab es in der Tiervielfalt. In Europa und Nordamerika machen heute Holstein-Rinder 60–90 Prozent aller Milchkühe aus.


Saatgut und Vielfalt sind die Basis der Landwirtschaft

Wer würde dem nicht zustimmen? Pflanzenzüchterinnen und Biotechnologen schöpfen bis heute aus der unermesslichen, über Tausende von Jahren durch die Uneinheitlichkeit der  landwirtschaftlichen Praktiken entstandenen Agrobiodiversität. Doch die Lage ist prekär: Die Entscheidung darüber, was und wie in Zukunft gezüchtet, angebaut und konsumiert wird, wird global von immer weniger Konzernen beeinflusst, deren Marktmacht stetig wächst. Für diese Unternehmen ist Saatgut vor allem eins: ein gewinnbringendes Geschäft.

Gewinnbringend ist das Geschäft mit Saatgut, wenn es weltweit an möglichst viele Betriebe verkauft werden kann, die grosse Flächen bewirtschaften. Verbreitet wird das, was sich gut verkaufen
lässt: sogenannte Cash Crops. Inzwischen hat sich nicht nur die landwirtschaftliche Produktion auf dieses einheitliche Angebot eingestellt; es betrifft die ganze Wertschöpfungskette. Egal ob es um Tomaten, Rüebli oder Zucchetti geht: Auch bei diesen Kulturen stammt das Saatgut meist von den grossen Konzernen. Diese entwickeln fast ausschliesslich Hybridsorten. Für Betriebe, die das sehr einheitliche, gleichmässig reifende Gemüse in grossen Chargen verkaufen können, ist dies oft ein Vorteil. Auch der Handel ist zufrieden, erfüllen diese Sorten doch die heute so wichtigen Merkmale der langen Transport- und Lagerfähigkeit. Die Kundschaft muss auf diese Weise jedoch auf eine grosse Farben-, Formen- und Geschmacksvielfalt verzichten: Was nur leicht von der Norm abweicht, schafft es nur schwer oder gar nicht auf den Acker und erst recht nicht in den Handel.

Fokus 117 Patinaken
(Bild: Shutterstock)


Dank Organisationen wie ProSpecieRara, die den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt fördern, ist eine Vielzahl in Vergessenheit geratener Sorten wieder auf den Märkten und in den Läden zu finden, wie
zum Beispiel verschiedene Pastinaken.


Glücklicherweise gibt es Ausnahmen. Biobetriebe und viele nationale Stiftungen zur Erhaltung der Sortenvielfalt bieten ein wachsendes Sortiment an Arten und Sorten an. Die erhöhte Sichtbarkeit des Sortenreichtums hat nicht nur einen direkten didaktischen Nutzen, so wie die Erhaltung der traditionellen Kulturpflanzenvielfalt durch On-Farm-Produktion nicht nur der kulinarischen  Bereicherung dient. Sie haben eine grundlegende, über das eigene Land hinaus wegweisende Bedeutung. Es geht um nicht weniger als die globale Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels und die Widerstandsfähigkeit landwirtschaftlicher und natürlicher Systeme angesichts globaler Pandemien.

Agrobiodiversität und Klimakrise

Die Klimakrise stellt die Landwirtschaft durch unberechenbare Wetterereignisse sowie erhöhten Krankheitsdruck vor enorme Herausforderungen. Die gezielte Nutzung der Agrobiodiversität – im umfassenden Sinne des Begriffs – kann dabei helfen, landwirtschaftliche Anbausysteme robuster zu machen. Während eine Pflanze, die primär auf Ertragsmaximierung entwickelt wurde,  klimatischen Schwankungen ausserhalb ihres Optimums kaum etwas entgegenzusetzen hat, kann ein diversifiziertes Anbausystem diese abpuffern: je mehr Vielfalt auf dem Acker, desto höher die Sicherheit, dass überhaupt noch etwas geerntet werden kann. Gleiches gilt auch für den Schädlings- oder Krankheitsdruck. In homogenen Anbausystemen mit einer geringen genetischen und systemischen Vielfalt können sich Krankheiten und Schädlinge schnell vermehren und ganze Bestände vernichten. Ein vielfältiger Mix verschiedener Arten, Sorten und Strukturen – wie sie z.B. in Agroforstsystemen vorhanden sind – bremst die Verbreitung von Krankheiten und Schädlingen aus und beugt kompletten Ertragsausfällen vor.

Agrobiodiversität und Pandemien

Nicht zuletzt können vielfältige Anbausysteme und Strukturen die Ausbreitung globaler Pandemien wie wir sie seit 2020 mit Covid-19 erleben, bremsen oder verhindern. Wird ein Stück tropischer Regenwald, bestehend aus verschiedenen Bäumen, Sträuchern, ein- und mehrjährigen Pflanzen abgeholzt und zerstört, um einer Palmölplantage Platz zu machen, verlieren Wildtiere wie  Fledermäuse, die inzwischen als «Virusträger» bekannt sind, ihren Lebensraum. Sie lassen sich nun in der Plantage nieder. Hier finden sie nicht nur Nahrung, sondern können sich auch – ohne natürliche Feinde – stark vermehren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie über Bisse oder ihren Speichel Krankheitserreger an die in der Plantage arbeitenden Menschen weitergeben, steigt. Über einige weitere Zwischenschritte – und mit Hilfe der globalen Warenketten – können sich Erreger auf diese Weise weit über die Ursprungsregion hinaus verbreiten. Es ist also höchste Zeit, dass die verbliebene Vielfalt natürlicher Lebensräume erhalten bleibt und die landwirtschaftliche Vielfalt zurück auf die Äcker findet. Deshalb ist es wichtig, die irreführende Semantik der gewinnorientierten Gentechnik zu entlarven und die Domestikation eindeutig von Pflanzenzüchtung und Gentechnik abzugrenzen, um die Pflanzenvielfalt und die soziopolitischen Beziehungen, die sie fördern, zu erhalten.

Die Ausführungen zu Saatgut und Vielfalt basieren auf: Gelinsky, E. 2021; Vom Wert der Vielfalt: Warum die Erhaltung der Agrobiodiversität in der Schweiz eine globale Dimension hat. In: Schweizer
Heimatschutz (Hrsg.): Schulthess Gartenpreis 2021 für die Stiftung ProSpecieRara, S. 8 –10.

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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 118

Genomeditierung im Naturschutz

Mit der Genschere CRISPR/Cas hält die Genomeditierung auch Einzug in Naturschutzprojekte. Die Anwendungsideen sind vielfältig – von der erhofften sensationellen Wiederbelebung ausgestorbener Arten bis zu kleineren Eingriffen, welche bedrohte Arten stärken sollen. Diese Entwicklung ist alarmierend. Ausgerechnet in diesem sensiblen Bereich, in dem der Mensch bereits so viel Schaden angerichtet hat, plant man nun Eingriffe mit ungenügend geprüften Technologien. Deren Auswirkungen sind noch nicht abschätzbar – weder auf die Zielarten selbst noch auf das ganze Ökosystem.

Text: Zsofia Hock

Ein neues Forschungsgebiet, Resurrection Biology getauft, beschäftigt sich damit, ausgestorbene Tiere mittels Genomeditierung wieder zum Leben zu erwecken. Solche Forschungsziele werden einerseits durch eine Art Sehnsucht nach dem Verlorenen und der Hoffnung, menschengemachte Schäden wiedergutmachen zu können, angetrieben, andererseits aber auch durch pure Neugier. Oft werden als Motivation auch aktuelle Probleme angegeben, bei denen eine Lösung dringend herbeigesehnt wird – etwa die Bekämpfung des Klimawandels. Die Frage ist, ob dies nicht lediglich ein wohlklingendes Alibi ist, um den waghalsigen Experimenten eine grosszügigere Finanzierung zu sichern. Auch wenn Jurassic Park höchstwahrscheinlich Science-Fiction bleibt, werfen solche Auferweckungsträume eine Reihe ethischer Fragen auf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn eine Art ausgerottet und danach wiederbelebt werden kann, könnte das nicht dazu führen, dass man sich weniger um die Erhaltung der Spezies in der freien Wildbahn bemüht?

Projekt Wollhaarmammut – lebendiges Museumstier oder mehr?

Das Vorhaben in diese Richtung mit dem grössten Medienecho weltweit will das seit Tausenden Jahren ausgestorbene Mammut wieder zum Leben erwecken. Wenn alles nach Plan läuft, sogar schon in 6 Jahren – eine kleine Sensation. Das auf den vielsagenden Namen Colossal getaufte, millionenschwere Projekt einer US-Forschungsgruppe um den Molekularbiologen George Church versucht aber auch, mit in den Mantel der Vernunft gehüllten Begründungen zu überzeugen. Das Argument des Klimaschutzes muss auch hier herhalten: Vom Mammut gestampfter Winterschnee soll das Tauen der Dauerfrostböden und die damit verbundenen erhöhten CO2–Emissionen in der Arktis verlangsamen.

Fokus 117
(Bild: Shutterstock)


Von Mammufanten gestampfter Winterschnee soll dem Klimawandel entgegenwirken. Doch die Entwicklung solcher genomeditierter Chimären kann nicht mit dem Tempo des Klimawandels mithalten. Auch kann die Technologie Elterntiere nicht ersetzen,welche ihren Nachkommen Verhaltensmuster weitergeben.


Technische Schwierigkeiten vorhersehbar

Um eine dem Wollhaarmammut ähnliche Art heranzuziehen, sollen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas Zellen von Asiatischen Elefanten mit im Eis gefundenen gefrorenen Genen des Mammuts kombiniertwerden. Bis ein solcher Mammufant durch die Permafrostlandschaft der Arktis stampfen kann, müssten jedoch einige technische Hindernisse überwunden werden.

Einen Stolperstein stellen die enormen Unterschiede zwischen dem genetischen Code des ausgestorbenen Riesen und seinem nächsten Verwandten, dem Asiatischen Elefanten, dar: eine Diskrepanz von 1,5 Millionen Nukleotiden im Genom. Alle Unterschiede mittels Genschere auszugleichen, ist kaum möglich. Deswegen fokussieren die Biotechnologen auf Gene, welche den Phänotyp massgeblich beeinflussen: etwa auf Genabschnitte, welche die Grösse der Ohren, die Behaarung oder die Bildung des Unterhautfettgewebes bestimmen. Doch ein Organismus ist nicht die Summe seiner Gene. Mit dem Aussterben gingen neben physischen Eigenschaften auch Verhaltensweisen des Mammuts verloren: Migrationsrouten, Paarungsrituale, Techniken der Nahrungssuche und der Kommunikation. Deshalb ist es fraglich, inwiefern wiederbelebte Tiere erfolgreich ausgewildert werden könnten. Das Ergebnis des Mammutprojekts wird daher eine neue Art sein, die der ausgestorbenen Art zwar ähnelt, aber doch grundlegend anders ist: eine Art kältetoleranter Elefant, eine Kuriosität.

Bevor man überhaupt über ein Auswildern nachdenken kann, müssten weitere technische Hindernisse bewältigt werden. Etwa dasjenige des Klonens – damit ein Mammufant ausgetragen werden kann, müsste das manipulierte Mammuterbgut in eine entkernte Elefanteneizelle übertragen werden. Auch bei Arten, die noch nicht so lange ausgestorben oder enger miteinander verwandt sind, treten bei diesem Prozess Schwierigkeiten auf. Das Ausmass der evolutionären Unterschiede zwischen Mammut und Elefant könnte den Erfolg dieses Schrittes zusätzlich negativ beeinflussen. Bereits die Entnahme der Eizelle bei Elefanten ist riskant und mit erheblichem Tierleid verbunden.

Selbst wenn man über all diese Hindernisse hinwegkommt, wäre es zu spät – denn um das Auftauen einer Permafrostregion, die sich über Millionen von Quadratkilometern erstreckt, zu bremsen, müsste eine hohe Populationsdichte erreicht werden. Angesichts des langen Fortpflanzungszyklus des Mammuts lässt sich dies wohl kaum rechtzeitig realisieren. Daher muss der Frage nachgegangen werden, wer von solchen Projekten profitiert. Der Mensch? Die Tierart? Die einzelnen Individuen, die zur Umsetzung des Wiederbelebungsversuchs benutzt werden, ganz bestimmt nicht.

The Great Comeback  –  die Rückkehr der Wandertaube

Der Mammufant ist nur eines dieser Wiederbelebungsvorhaben. Andere Arten, die noch nicht so lange ausgestorben sind, könnten vor den Urzeitriesen wieder zum Leben erweckt werden. So etwa die Wandertaube (Ectopistes migratorius). Die Haupttriebfeder der Forschung bildet hier das Wohlergehen derjenigen Ökosysteme, denen seit dem Verschwindendieses Vogels ein wichtiger Ökosystembaustein fehlt. Noch vor 150 Jahren suchten Wandertauben in riesigen Scharen die Wälder Nordamerikas heim – bis das letzte Exemplar dem Jagdfieber zum Opfer fiel. Durch ihre Lebensweise beeinflussten die Vögel die Ökologie dieser Gebiete massgeblich. Denn jeder Einfall der Vogelschwärme zwang die Wälder zu Regenerationszyklen, die seit deren Verschwinden ausbleiben. Die nächste lebende Verwandte, die Ringeltaube, unterscheidet sich von der Wandertaube in 25 Millionen Genen. Trotzdem hoffen die Forscher auch hier, dass Veränderungen in ein paar Dutzend wichtigen Genen genügen, um eine Taube zu kreieren, welche sich wie die ausgestorbene Taubenart verhält.

Taube
(Bild: Shutterstock)


Der Ringeltaube (Columba palumbus), ein auch in der Schweiz häufig vorkommender Brutvogel, ist der engste lebende Verwandte der ausgestorbenen Wandertaube. Als solcher soll er für Wieder-
belebungsexperimente benutzt werden, obwohl der genetische Unterschied zwischen den beiden Arten bedeutend ist.


Wie alle Wiederbelebungsprojekte wirft auch dieses zahlreiche praktische und ethische Fragen auf. Wie würden sich die wiedererweckten Wandertaubenpopulationen in die sich seither veränderte Landschaft Nordamerikas einfügen? Was wäre, wenn die Riesenschwärme den bereits durch Wildfeuer und Erreger strapazierten Wäldern mehr schaden als nützen? Oder wenn die Tauben für grosse Metropolen wie New York zur Plage würden?

Die IUCN empfielt, dass solche Projekte nur dann grünes Licht bekommen, wenn die ursprünglichen Ursachen des Aussterbens beseitigt werden konnten. Im Falle der Wandertaube ist es fraglich, ob die Jagd als potenzielle Bedrohung ausgeschaltet werden kann. Vor allem, wenn die erneut eingeführte Art oder deren genomeditiertes Faksimile neu invasiv wird und als Schädling agiert – dies könnte im Falle der reiselustigen Wandertaube schnell zutreffen.

Bedrohte Arten gegen das Aussterben wappnen

Eingriffe mit der Genschere sollen auch dazu genutzt werden, die Auswirkungen des menschengemachten Biodiversitätsverlustes zu verlangsamen und möglichst vielen gefährdeten Arten eine Art Verschnaufpause vor dem drohenden Aussterben zu verschaffen. Dies wäre das Anwendungsziel, das eventuell technisch am ehesten realisierbar wäre, allerdings aber auch weniger spektulär für Medienjubel und an Publizität interessierten Grosssponsoren.

Das Thema beschäftigt die internationalen Naturschutzgremien und Forschungsgruppen jedoch aktuell sehr. Eine zentrale zu klärende Frage in dieser Diskussion lautet, bei welchem Gefährdungsstatus welche Methoden überhaupt eingesetzt werden dürften und wer darüber entscheidet. Die Idee eines unabhängigen Gremiums aus repräsentativen Interessenvertretern hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Verständlich: Denn die potenziell weitreichenden Auswirkungen genomeditierter Organismen werden von den Biotechnologen nicht immer genügend berücksichtigt. Eine gesellschaftlich breiter abgestützte Beurteilung ergibt durchaus Sinn.

Experten der Washington University schlagen vor, die Eingriffstiefe der Genomeditierung analog der Klassifizierung der Bedrohungsstufen der Weltnaturschutzorganisation IUCN zu definieren. In einem ersten Schritt soll die Genomeditierung dazu dienen, das Monitoring der Populationsgrösse und des Genflusses zwischen Populationen von gefährdeten Tierarten zu erleichtern. Bei stärker gefährdeten Arten schlagen die Forschenden vor, sich auf die Erhaltung der Arten zu konzentrieren, indem deren Anpassungsfähigkeit durch vorteilhafte Punktmutationen, induziert durch Genomeditierung, verbessert wird. Denkbar wäre ein solcher Eingriff bei Korallen, welche durch solche Mutationen auch bei höheren Wassertemperaturen überleben sollen. Ein weiteres Ziel dieser Kategorie des Revive & Restore, welches auch die Wiederbelebung der Wandertaube plant, wäre das auf Madagaskar lebende Schwarzfussfrettchen. Mittels Aktivierung spezifischer Gene durch CRISPR/Cas soll es resistent gegen die silvatische Pest gemacht werden, die durch Bakterien verursacht wird.

Salamander
(Bild: Shutterstock)


Der in seinen Beständen gefährdete Feuersalamander wird durch eine eingeschleppte Pilzkrankheit bedroht. Forschende möchten sein Erbgut mit einem Gene Drive so verändern, dass er immun gegen den Pilz wäre.


 Bei Arten der höchsten Gefährdungsstufe müssten auch grössere Eingriffe ins Genom in Betracht gezogen werden, postuliert das Forscherteam. So etwa das Entfernen schädlicher rezessiver Mutationen in Populationen aufgrund von Inzucht. Diese beeinträchtigen beispielsweisedie Züchtung des kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus) in Gefangenschaft. Auf die gleiche Art könnten auch verloren gegangene vorteilhafte genetische Merkmale wiederhergestellt werden, wenn dies mit direkter Züchtung nicht möglich ist.

Unklar ist aber, bei welchem dieser Schritte welche Technologie erlaubt wäre und ob die Anwendung von schwer kontrollierbaren Methoden, wie die der Gene-Drive-Technologie, je erlaubt sein sollten. Auch derartige Forschungsprojekte sind keine Seltenheit. Eines davon betrifft den auch hierzulande heimischen Feuersalamander. Diese Lurche sind bereits wegen des Verlustes ihrer Lebensr ume akut gefährdet. Nun werden sie zusätzlich von einem aus Asien eingeschleppten Hautpilz bedroht. Um diese tödliche Gefahr abzuwenden, soll dem Erbgut des Feuersalamanders mittels Gene Drives ein Gen eingefügt werden, welches sie immun gegen den Pilz machen soll. Grundsätzlich gilt es in jedem Fall abzuwägen, ob die Wiederherstellung von Verlorenem oder der Schutz des noch Vorhandenen dringender ist. Die knappen Gelder sollten in diejenigen Forschungsbereiche fliessen, welche die Biodiversität am effektivsten erhalten. Waghalsige Forschungsvorhaben mit Biotechnologie dürfen die Erhaltungsbiologie nicht konkurrenzieren, indem sie Ressourcen von den notwendigen ökologischen Schutzmassnahmen abziehen.
 

 PDF Gentechfrei Magazin Nr.118

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(Bild: fotolia)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 97

Genmanipuliertes Zuckerrohr in Brasilien

Brasilien hat als weltweit erstes Land genmanipuliertes Zuckerrohr für den kommerziellen Anbau zugelassen. Das Gift, das die Pflanze produziert, soll den Zuckerrohrbohrer schädigen. Resistenzen und Verunreinigungen von konventionellem Zucker sind bereits vorprogrammiert.

Text: Denise Battaglia

Die Zulassung des gentechnisch veränderten Zuckerrohrs des brasilianischen Centro de Tecnologia Canavieira (CTC) ist, so weit weg sie uns scheint, nicht belanglos. Brasilien ist der grösste Zuckerrohrproduzent der Welt. Mit 600 Millionen Tonnen produziert das Land rund ein Viertel der weltweiten Zuckermenge. Das südamerikanische Land exportiert seinen Zucker in etwa 150 Länder. Das Technologiezentrum, welches das Gentech-Zuckerrohr entwickelte, hat Grosses vor: Gemäss dem Geschäftsführer Gustavo Leite soll künftig auf 15 Prozent der insgesamt 10 Millionen Hektar grossen Anbaufläche von Zuckerrohr gentechnisch veränderter Zucker wachsen, also auf rund 1,5 Millionen Hektaren. Das entspricht fast der Hälfte der Fläche der Schweiz.

Bt ist die Abkürzung für das Bakterium Bacillus thuringiensis, das in die Zuckerrohrpflanze eingeschleust wurde. Das artfremde Gen sorgt dafür, dass die Pflanze konstant ein Gift absondert, sogenannte Bt-Toxine, so dass die Insektenlarven, die an den Pflanzen fressen, getötet werden. Das Bt-Zuckerrohr soll damit den Zuckerrohrbohrer (Diatraea saccharalis) unschädlich machen. Das Insekt sorgt gemäss CTC für einen geschätzten Ernteausfall im Wert von jährlich anderthalb Milliarden US-Dollar.

Verunreinigung des konventionellen Zuckers?

Fokus 97 Fabrik
(Bild: Rudhart, Greenpeace)

Das tönt nach viel. Jochen Koester, Gründungs- und Vorstandsmitglied des deutschen Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) relativiert aber. Die Anbauzulassung in Brasilien habe ihn «sehr überrascht». Der Schädlingsbefall sei bei Zuckerrohr bei weitem nicht so gross wie beispielsweise bei Mais. «Man könnte den Schädling problemlos mit anderen Methoden in Schach halten», sagt er. Schädlinge vermehren sich zudem in Monokulturen oft viel schneller als in Mischkulturen. Für Koester sieht es so aus, als ob man das gentechnisch veränderte Zuckerrohr zugelassen habe, weil man es nun einmal hat, ganz nach dem Motto «was machbar ist, wird gemacht». Koester sieht damit eine Menge Probleme auf die brasilianische Zuckerbranche zukommen. «Wenn jetzt ein paar Bauern damit anfangen, Gentech-Zuckerrohr anzubauen, dann wird es nicht lange dauern, bis konventionelle Zuckerplantagen und ganze Warenflusswege kontaminiert sind und man den konventionellen Zucker nicht mehr gentechfrei halten kann.» Beispiele für Kontaminationen durch den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen gibt es genug:

- In Kanada hat ein für kurze Zeit zugelassener gentechnisch veränderter Flachs (Leinsamen), obwohl kaum angebaut, in kurzer Zeit den konventionellen Flachs verunreinigt, was dem Land grosse Exportprobleme bescherte. Die exportierten Samen waren verunreinigt und konnten nicht verkauft werden.
- In Mexiko, dem Ursprungsland des Maises, fand man Gene aus Gentech-Sorten in uralten Landsorten. Und eine vor kurzem veröffentlichte Studie zeigte, dass 90 Prozent der Tortillas in Mexiko Gentech-Spuren enthalten, obwohl der Anbau von Gentech-Mais in Mexiko nicht erlaubt ist.

Als Quelle der Verunreinigungen wird in Mexiko gemäss einem Bericht des Gen-ethischen Netzwerkes unter anderem die hohe Zahl von Mais-Importen aus den USA angenommen, die unkontrolliert und nicht gekennzeichnet als Futtermittel oder zur Verarbeitung in Nahrungsmitteln auf den Markt kommen. Solche Verunreinigungen wären in der Verarbeitung von Zuckerrohr zu Zucker nur mit vollständig getrennten Ernte-, Transport- und Lagerungsprozessen zu vermeiden. Dies aber führt zu enormen Kosten und wäre kaum rentabel. Koester fragt deshalb: «Wozu gentechnisch verändertes Zuckerrohr?»

Resistente Schädlinge nach ein paar Jahren

Fokus 97 Bauer
Das brasilianische Züchtungsunternehmen CTC will in den nächsten Jahren für die wichtigsten Anbauregionen Brasiliens angepasste Sorten ihres Bt-Zuckerrohrs auf den Markt bringen. Ausserdem sind Sorten geplant, welche zusätzlich auch gegen Herbizide resistent sind. (Bild: Clipdealer)

Bt-Pflanzen sind nichts Neues. Bt-Mais, Bt-Baumwolle oder Bt-Soja werden grossflächig vor allem in den USA, Brasilien, Indien und Südafrika angebaut. Damit wirbt denn auch der brasilianische Hersteller: Bt-Pflanzen seien seit 20 Jahren etabliert, schreibt er auf seiner Website. Was er verschweigt: Viele Schädlinge, welche die jeweiligen Bt-Pflanzen abtöten sollen, sind inzwischen resistent gegen das Gift. So haben zum Beispiel Studien mit Bt-Mais in Puerto Rico und auch in Brasilien gezeigt, dass schon nach wenigen Anbaujahren das Gift die Zielschädlinge nicht mehr gross zu schädigen vermag – der Schädling habe sich an das Gift angepasst. Die Agrarökologin Angelika Hilbeck gibt dem Gentech-Zuckerrohr «wenige Jahre», bis der Zuckerrohrbohrer resistent gegen ihn ist. Zum einen, weil der Zuckerrohrbohrer schon seit Jahrzehnten dem Bt-Mais ausgesetzt ist, den er ebenfalls gerne frisst, und daher eine gewisse Selektion für Resistenz bereits stattfindet, und zum anderen, weil US-amerikanische Wissenschaftler in diesem Schädling schon vor zehn Jahren Resistenzgene gegen Bt-Toxine bei Laborversuchen gefunden haben. Die brasilianischen Bauern, die das gentechnisch veränderte Zuckerrohr anbauen, werden wohl nur kurzfristig eine bessere Ernte einfahren, und dies auch nur dort, wo effektiv dieser Schädling den Ertrag senkt und die Ursache nicht anderswo zu suchen wäre. Doch nach einer kurzen Zeit mit Ertragssteigerungen werden die Bäuerinnen und Bauern gegen einen weiteren resistenten Schädling kämpfen, sagt Hilbeck. «Wer am meisten profitieren wird, ist der Hersteller.» Die ETH-Forscherin hat im Jahre 2009 in einer Studie mit Bt-Mais herausgefunden, dass dieser Mais nicht nur den Zielschädling vernichtet, sondern auch Nützlinge wie die Florfliege und der Marienkäfer schädigen kann. Obwohl die Hersteller stets beteuert hatten, dies sei nicht der Fall.

Studien weisen gemäss Angelika Hilbeck darauf hin, dass der Anbau von Bt-Pflanzen auch Verschiebungen in Insektengemeinschaften im Agrarökosystem oder auch in aquatischen Systemen auslösen kann. Welche Auswirkungen diese Veränderungen haben, wird sich erst in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten zeigen, und dies auch nur dann, wenn man diese Veränderungen überwacht. «Jede Verschiebung im System hat Folgen, und diese sind unberechenbar», gibt die Forscherin zu bedenken. Dass man so wenig über die Auswirkungen von Bt-Pflanzen weiss, liege daran, dass der Anbau nicht systematisch begleitet werde. «Die Agrochemie hat an ökologischen Langzeituntersuchungen kein Interesse und vermeidet sie deshalb.»

Essen wir bald Gentech-Zucker?

Fokus 97 Treibstoff
Brasilien stellt aus dem Zuckerrohr nicht nur weissen Zucker, Rohrzucker oder Schnaps her, sondern auch Bioethanol. Brasilien hat nach der Erdölkrise Ende der 1970er-Jahre beschlossen, sich unabhängiger von Erdöl zu machen. Das südamerikanische Land wandelt seither einen grossen Teil des vergärten Zuckers in Agrosprit um. An den Tanksäulen in Brasilien kann dieser als Benzinersatz oder als Zusatz im Treibstoff bezogen werden. (Bild: Clipdealer)

Sorgen bereitet der Anbau des gentechnisch manipulierten Zuckerrohrs auch in Brasilien. Rogério Magalhães vom brasilianischen Umweltministerium fürchtet insbesondere um die Biodiversität und verweist auf die unabhängigen – leider nicht sehr zahlreichen – Studien, welche belegen, dass das Bt-Toxin solcher gentechnisch veränderter Pflanzen «auch andere Insekten, Bodenfauna und Mikroorganismen schädigt», wie er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte.

Welche Auswirkungen hätte der Anbau von Gentech-Zucker in Brasilien für die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz und in Europa? Jochen Koester glaubt nicht, dass Europa und die Schweiz in den nächsten Jahren mit gentechnisch verändertem Rohrzucker oder raffiniertem weissen Zucker konfrontiert sein werden. Erstens wächst Zuckerrohr langsam, es werde in einem Zyklus von fünf bis sieben Jahren angebaut. Folg lich würden jährlich nur 20 Prozent der Anbaufläche neu bepflanzt. Zweitens stammt der Zucker, den wir in der Schweiz konsumieren, hauptsächlich aus hiesigen Zuckerrüben. Letztes Jahr importierte die Schweiz 15ʼ800 Kilogramm Zuckerrohr, der grösste Teil stammt aus Costa Rica, Ägypten und Uganda. Aus Brasilien hat die Schweiz, zumindest in den letzten drei Jahren, keinen Rohrzucker eingeführt, wie die Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung zeigt. Und drittens bräuchte es für die Einfuhr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine Bewilligung, und sie müssen als solche gekennzeichnet werden (siehe Box). Allerdings gibt es einen Toleranzwert. Unbeabsichtigte «Spuren» von gentechnisch veränderten Organismen bis zu einem Anteil von 0,5 Prozent werden in Lebensmitteln toleriert. So wurden zum Beispiel schon Spuren von Gentech-Reis in amerikanischem Langkornreis in der Schweiz gefunden und Spuren von Gentech-Mais in konventionellem Mais in Europa.


Bewilligung für Gentech-Lebensmittel

Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten oder die daraus gewonnen wurden, dürfen in der Schweiz nur mit einer Bewilligung in Verkehr gebracht werden. Sind die Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt, müssen sie zudem (mit «GVO») gekennzeichnet sein. Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden in einem Bewilligungsverfahren vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) beurteilt. Das BLV erteile die Bewilligung nur, wenn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft «eine Gefährdung von Gesundheit und Umwelt ausgeschlossen werden kann», wie die Behörde auf ihrer Website schreibt. In der Schweiz sind gemäss dem BLV zurzeit eine Sojalinie, drei Maislinien, zwei Vitamine, zwei Labfermente und zwei Verarbeitungshilfsstoffe, die gentechnisch verändert worden sind, zur Verwendung in Lebensmitteln bewilligt.


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(Bild: Clipdealer)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 100

Ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt

Die industrielle Landwirtschaft und die Varroa-Milbe haben den Bienenbestand weltweit stark dezimiert. Nun wollen Forscher die Bienen mit den neuen gentechnischen Verfahren an die industrielle Landwirtschaft anpassen. Gentechnikexperte Christoph Then warnt vor diesen unberechenbaren Eingriffen am wichtigsten Bestäuber.

Text: Denise Battaglia

Bienen bestäuben rund 80 Prozent der Pflanzen. Wir verdanken ihrem Pollentransport Früchte und Obst, Ölsaaten wie Raps, auch Nüsse und Gemüse. Seit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «More than Honey» des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof weiss auch jeder Nichtimker: Den Bienen geht es nicht gut. In China müssen in bestimmten Regionen die Blüten von Menschenhand bestäubt werden, weil es keine Bienen mehr gibt. Im Jahr 2016 riefen die USA die Biene zur gefährdeten Art aus. Auch hierzulande hat der Bundesrat einen Massnahmenplan «für die Gesundheit der Bienen» verabschiedet, weil der Bestand an Honigbienen und Wildbienen stark rückläufig ist.

Frühere Hochkulturen haben die Biene verehrt. Für die Ägypter, die schon vor 3000 Jahren Honigbienen züchteten, war der Honig eine Götterspeise. Die Bienen sind in den Heiligtümern ägyptischer Tempel abgebildet. Nach der Überlieferung sind die Bienen göttlicher Herkunft: Sie entstanden aus den Tränen des Sonnengottes Re, dem wichtigsten altägyptischen Gott. Auch im antiken Griechenland galten die Bienen als «Boten der Götter».

Nun steht die Biene im Fokus der Gentechnik

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(Bild: Fotolia)

Für den modernen Menschen ist die Biene, die rund 17 Millionen Jahre vor dem Menschen die Erde bevölkert hat, kein Götterbote mehr, sondern bestenfalls ein Mittel zum Zweck (der effizienten Bestäubung und Honigproduktion). Die industrielle Landwirtschaft mit ihren (gentechnisch veränderten) Monokulturen und ihrem Pestizid einsatz steht im Verdacht, neben der Varroa-Milbe mit verantwortlich für das weltweite Bienensterben zu sein: Die Monokulturen haben die Vielfalt des Bienenfutters reduziert und Studien verweisen darauf, dass die in den Pestiziden enthaltenen Wirkstoffe wie Neonicotinoide und Glyphosat die Bienen schwächen könnten. «Bienen hatten über Millionen von Jahren eine wunderbare Nahrung, die genau ihre Ansprüche erfüllte», sagte der Bienen forscher Jay Evans vom US-Landwirtschaftsministerium in einem Interview gegenüber dem deutschen Fernsehsender ARD. «Mit zusätzlichen Chemikalien kommen sie deshalb nicht klar.» Doch die Konsequenz dieser Erkenntnis ist nicht, die industrielle Landwirtschaft in Frage zu stellen. Die Konsequenz des modernen Menschen ist, zu versuchen, neue Bienen herzustellen, die mit den Chemikalien «klarkommen». Mit den neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas9 will man die Insekten zum Beispiel resistenter gegen Pestizide machen. Christoph Then vom deutschen Institut Testbiotech warnt vor Eingriffen in das Erbgut der Biene. «Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.»

Herr Then, in den USA, wo gentechnisch veränderte Pflanzen grossflächig angebaut werden, steht die Biene auf der Liste der gefährdeten Arten. Schädigen gentechnisch veränderte Pflanzen die Bienen doch?
Christoph Then: Der Zusammenhang zwischen dem Bienensterben in den USA und dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen wurde meines Wissens nicht nachgewiesen. Womöglich ist es in den USA gar nicht mehr möglich, neben Bienen, die Gentechpflanzen anfliegen, noch eine Kontrollgruppe zu untersuchen, die keinen Kontakt zu Gentechpflanzen hat. Vermutlich sind die Bienen gegenüber dem Bt-Gift alleine relativ unempfindlich. Studien weisen aber darauf hin, dass Bienen auf das vom Bt-Mais permanent produzierte Insektengift empfindlich reagieren, wenn sie von Darmparasiten befallen, also geschwächt sind. Andere Studien zeigen, dass sich die Wirkung des Bt-Insektengiftes verstärken kann, wenn sie mit Umweltgiften, Krankheitserregern oder Pestiziden interagieren. Das könnte auch Bienen betreffen.

Die Frage, ob das Bt-Toxin Bienen mit Darmparasiten schädigt, wurde bis heute nicht geklärt. Warum?
Eine Studie von Forschern der Universität Jena konnte nicht weitergeführt werden. Nach den Hinweisen darauf, dass die Wirkung des Insektengifts auf Bienen durch Wechselwirkung mit Darmparasiten verstärkt wird, wurden keine weiteren Mittel für das Projekt bewilligt.

Nach anderen Studien beinträchtigt das Bt-Gift die Lernfähigkeit von Bienen.
Ja, aber die Industrie sagt, dass den Bienen in diesen Untersuchungen mehr Bt-Gift verabreicht worden sei, als sie auf ihrem Pollenflug aufnehmen würden. Auch hier bräuchte es weitere Untersuchungen.

Die Biene soll nun mittels Gentechnik vor dem Aussterben gerettet werden.
Monsanto will unter anderem biologisch aktive Stoffe, sogenannte mikroRNA, die mit Hilfe von Gentechnik hergestellt wird, in das Futter von Bienen mischen. Die Idee dahinter: Die Bienen nehmen diese Stoffe auf und geben sie an Parasiten wie die Varroa-Milben weiter, wenn diese den Bienenstock befallen. Bei den Milben sollen diese Stoffe dann in die Genregulation eingreifen und so die Parasiten abtöten. Das ist ein Verfahren, das mit vielen Risiken behaftet ist. Diese Stoffe würden auch im Honig landen. Insgesamt will die Industrie die Bienen an die Umweltbelastungen anpassen und nicht umgekehrt eine bienenfreundliche Umwelt schaffen. Dafür sollen auch die neuen Gentechnikverfahren verwendet werden.

Fokus 100 BienenMit gentechnischen Eingriffen bei Bienen und anderen Insekten wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Dies ist eine neue Dimension der Risiken. Ein solcher Eingriff kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, sollte etwas schieflaufen. (Bild: Fotolia)

Sie meinen die neuen Gentechnikmethoden wie CRISPR/Cas9?
Genau. Diese neuen Gentechniken haben das Spielfeld massiv erweitert. Man will jetzt auch natürliche Populationen gentechnisch verändern, nicht wie bisher Ackerpflanzen. So will man unter anderem Mücken und Fruchtfliegen bekämpfen oder Bienen resistent gegen Pestizide oder die Varroa-Milbe machen. Diese Entwicklung hat eine ungeheure Dynamik und eine neue Dimension der Risiken. Wenn nun frei fliegende Insekten gentechnisch verändert werden, dann verlieren wir die Kontrolle – wir können nicht mehr eingreifen, wenn etwas schiefgeht.

Die Anwender sagen, es gehe ihnen bei den Bienen um deren Schutz.
Letztlich geht es oft um kurzfristige Profite. Mit der alten Gentechnik wollte man den Einsatz von Pestiziden verringern. Mit den neuen Gentechniken will man angeblich bedrohte Arten retten. Dass es aber um Profite geht, erkennt man daran, dass die Firmen Patente auf die Technologien und die Organismen anmelden – jüngst zum Beispiel ein Patent auf gentechnisch veränderte Bakterien, die den Darm von Bienen besiedeln sollen. Und auch die gentechnisch veränderten Insekten werden patentiert.

Ist es etwas anderes, ob man Pflanzen gentechnisch verändert oder Bienen?
Mit Insekten wie Bienen wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht nun, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Bisher hat man versucht, die Gentechnik auf das Labor oder den Acker zu begrenzen.

Die Anwender von CRISPR/Cas9 sagen, dass diese Technik sehr präzise sei.
Man beruhigt die Politiker und die Bevölkerung mit der angeblichen Präzision der neuen Gentechniken. Tatsächlich sind die neuen Verfahren präziser – aber keineswegs fehlerfrei. Mit der Behauptung der «Präzision» – die Medien und Politiker oft zu unkritisch von der Gentechlobby übernehmen – soll verhindert werden, dass man über die Risiken diskutiert.

Welche Risiken bergen denn die neuen Gentechverfahren?
Wie bei den alten Gentechnikverfahren greift man auch bei den neuen – anders als bei der konventionellen Züchtung – direkt ins Erbgut ein und umgeht so die natürlichen Mechanismen der Vererbung und der Genregulation. Dabei kann es zu ungewollten Veränderungen der Struktur der Gene, der Genregulation, der Wechselwirkungen und der genetischen Netzwerke kommen. Das kann bei gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren − unabhängig davon, ob diese mit neuer oder alter Gentechnik manipuliert werden − sehr unterschiedliche Folgen haben. Grundsätzlich ist das Risiko höher, wenn man die Gentechnik bei wildlebenden Populationen anwendet. Aber auch ein Gentechnikpilz, der nach dem Schneiden nicht mehr braun wird, weil natürliche Genanlagen mit der Genschere entfernt wurden, kann in seinem Stoffwechsel so verändert sein, dass er für Menschen ungeniessbar wird.

Vielleicht funktioniert das, was sich die Anwender vorstellen, gar nicht? Die alte Gentechnik hat auch nicht, wie von der Industrie prophezeit, den Welthunger beseitigt oder den Pestizideinsatz verringert.
Ob die Technik das bringt, was die Anwender sich ausdenken, ist oft gar nicht entscheidend. Der Punkt ist: Die neuen Gentechniken haben die Möglichkeiten zur Manipulation des Erbguts erheblich ausgeweitet. Diese Machbarkeit ist eine grosse Herausforderung für die Gesellschaft. Denn damit nehmen die Einsatzmöglichkeiten wie die Risiken zu. Eine Biene, die in ihrem Darm gentechnisch veränderte Bakterien transportiert und in der Umwelt verteilt, ist ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt. Das gilt auch dann, wenn die Bakterien sich im Darm der Bienen nicht so verhalten, wie eine Firma dies gerne hätte. Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.

Was wäre zu tun?
Wir müssen über diese neuen Technologien eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen: über Risiken, Verantwortung, Interessen, über Werte und Grenzen. Politik und Medien sind oft nicht auf dem aktuellen Wissensstand und unterschätzen die Risiken. Insgesamt erhält die neue Gentechnik noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigte. Diese Technologien entwickeln sich sprunghaft weiter. Mit der grossen Dynamik der Entwicklung droht der Gesellschaft die Kontrolle zu entgleiten. Die moderne Gesellschaft steht hier vor grossen Herausforderungen.


Fokus 100 Then
Testbiotech ist ein im Jahre 2008 von Tierarzt Christoph Then mitgegründetes Institut in München, das den Einsatz von Gentechnik kritisch hinterfragt und sich mit möglichen Auswirkungen und Folgen für Mensch und Umwelt auseinandersetzt. Testbiotech stellt von der Gentechnikindustrie unabhängige, wissenschaftliche Expertisen bereit und leistet damit einen Beitrag, die Entscheidungskompetenz von Politik und Gesellschaft zu stärken.
www.testbiotech.org