220714Nano duerre
Könnte der Einsatz von Nanomaterialien zukünftig die Folgen von Dürre und Versalzung mildern?
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Wissenschaft und Industrie forschen seit Jahren aktiv an nanotechnologischen Produkten für den Einsatz in der Landwirtschaft. Eine neue Generation solcher Nano-Chemikalien für die landwirtschaftliche Nutzung soll in absehbarer Zeit auf den Markt gelangen. Teilweise sind die Produkte sogar bereits auf dem Markt, ohne dass sie gekennzeichnet werden müssen. Bestehende Agro-Produkte werden auf Nanogrösse reduziert, zudem kommen neuartige nanoskalige Anwendungen hinzu. So werden Pflanzenschutzmittel oder Dünger in Nanokapseln verpackt, mit dem Ziel, die Applikation der Wirkstoffe, die Zeitphase der Wirkung und die direkte Aufnahme durch Pflanzen zu verbessern. Mit Nano-Bodenhilfsstoffen will man die Wasserhaltekapazität des Bodens verbessern oder Nanofasern als Träger von flüchtigen Signalstoffen (Pheromone) zur Regulierung von Schadinsekten verwenden.

Auch zur Detektion von Krankheiten sollen künftig nanotechnologische Sensoren eingesetzt werden. Man erhofft sich, durch den Einsatz von Nanomaterialien in der Landwirtschaft reduzierte Aufwandmengen, höhere Effizienz und umweltschonendere Anwendungen. Die Liste der positiven Anwendungen ist lang. Dabei geht oft vergessen, dass Nanomaterialien zu neuartigen Risiken für die Umwelt und die landwirtschaftlichen Produktion führen können. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen bereits heute auf mögliche Schäden in der Umwelt und an Nutzpflanzen hin. Doch Hinweise auf negative Effekte finden wie so oft weniger Beachtung als Versprechungen zu möglichen Anwendungsoptionen.

Hoffnungsträger Kohlenstoff-Nanoröhren

Unter den verschiedenen technisch hergestellten Nanopartikeln, beispielsweise aus Kupfer, Silber oder Zink, die einst in der Landwirtschaft zur Anwendung kommen könnten, werden ein- und mehrwandige Kohlenstoff-Nanoröhren, Carbon Nanotubes (CNTs), aktuell als besonders vielversprechend angepriesen, da sie attraktive physiochemische Eigenschaften aufweisen. Etwa eine geringe Grösse, eine grosse Oberfläche und mechanische und thermische Festigkeit, die verschiedene Möglichkeiten für Anwendungen im Agrarsektor‑Kulturbereich bieten.

Mehrwandige CNTs sind relativ junge Nanomaterialien, die erst in den letzten Jahren umfassend untersucht wurden. Ein Artikel im Journal of Nanobiotechnology bietet eine Übersicht über die Forschungsprojekte zu möglichen Anwendungen von CNTs in der Landwirtschaft. So zeigten bespielsweise Versuche von 2008, dass die Behandlung der Samen von Tomaten, Zwiebeln, Gurken, Salat, Kohl und Karotten mit CNTs deren späteres Wurzelwachstum beeinflussen kann. Fluoreszenzbilder zeigten, dass die CNTs von den Zellen absorbiert werden und sich so als Nanotransporter zu den verschiedenen Zellorganellen anbieten. Dabei scheinen CNTs die dicke Schale der Samen zu durchdringen und die Wasseraufnahme zu verbessern, was zu einer schnellen Keimung der Samen und zu einem früheren Wachstum der jungen Sämlinge beitragen könnte. Ein anderes im Übersichtsartikel besprochenes Forschungsprojekt wies die Wirkung von CNTs als antibakterielles Mittel nach, da sie das Wachstum und die Entwicklung von mikrobiellen Biofilmen, die Bakterien und Pilzen gemeinsam bilden können, hemmen. Bei einem anderen Versuch mit CNTs verdoppelte sich die Blüten- und Fruchtproduktion im Vergleich zur Kontrollgruppe, da die Nanopartikel die Zusammensetzung der Bodenmikrobiota beeinflussten. Aufmerksamkeit haben CNTs auch wegen ihrer Fähigkeit, den Salzstress von Nutzpflanzen zu reduzieren, erregt. In einem Versuch wurde aufgezeigt, dass sich CNTs unter Salzstressbedingungen in höheren Konzentrationen in Pflanzenzellen anreichern und dadurch die Wasseraufnahme und den Wassertransport verbessern. Damit sollen die negativen Auswirkungen von Salzstress verringert werden.

CNTs für die Verabreichung von genetischem Material oder Hilfsstoffen

Die heute am häufigsten eingesetzte Technik für den gentechnischen Eingriff in Pflanzen ist die Genübertragung mit Agrobacterium. Allerdings infiziert Agrobacterium gemäss einer Studie nur eine beschränkte Zahl von Nutzpflanzen. CNTs könnten aufgrund ihrer geringen Toxizität und ihrer Fähigkeit, die pflanzliche Zellwand, die Zellmembran und die Zellorganellen zu durchdringen, als alternatives Transportmittel für genetisches Material in pflanzliche Zellorganellen taugen. In mehreren Studien wurde deshalb ihr Potenzial für die Übertragung genetisches Material bei Pflanzen ohne externe Hilfsmittel, wie z. B. eine Genkanone untersucht.

Ausserdem deuteten die Ergebnisse von Studien darauf hin, dass CNTs verschiedene Ladungen in die Organellen von Pflanzenzellen transportieren können. Aufgrund dieser Fähigkeit werden CNTs nun für eine langsame und kontrollierte Nährstoffzufuhr vorgeschlagen, um den Verlust überschüssiger Nährstoffe zu verringern und das Pflanzenwachstum unter Stressbedingungen zu verbessern.

So wurde in einer der zitierten Studien untersucht, ob ssDNA-beladene CNTs in die Blätter von Arabidopsis thaliana eindringen können. Dazu injizierten die Forschenden den Komplex mit einer Spritze in die Blattoberfläche und entdeckten, dass CNTs einer bestimmten Grösse und Ladung Membranen ohne den Einsatz einer Genkanone durchdringen können. Das Einbringen von der CNTs führte zu einer dreifachen Steigerung der Photosyntheserate von Arabidopsis-Blättern im Vergleich zu Kontrollblättern.

CNTs als antimikrobielle Mittel gegen Krankheitserreger

Infektiöse Pflanzenkrankheiten werden hauptsächlich von pathogenen Organismen wie Viren, Bakterien, Pilzen, Nematoden sowie Insekten und parasitären Pflanzen verursacht und sind für schwere Schäden am Pflanzenwachstum und Ertragseinbussen bei wichtigen Nutzpflanzen verantwortlich. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass CNTs abhängig von Grösse und Durchmesser eine sehr unterschiedliche antibakterielle Wirksamkeit haben und Bakterien physikalisch oder chemisch schädigen. Direkter Kontakt verursacht physikalische Schäden an der Membran sowie Veränderungen der Zellform, die zu Zytoplasmaaustritt, Enzym- und Elektrolytfreisetzung und Lipidabbau führen, die alle den Zelltod des Mikroorganismus bewirken. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Grösse (Durchmesser) der CNTs dabei ein wichtiger Faktor für ihre antibakteriellen Eigenschaften sind.

Nanosensoren auf CNT-Basis

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit von CNTs könnte gemäss der Übersichtsstudie ein Einsatz als Nanosensoren sein. Mit solchen Nanosensoren hofft man, Informationen zu Bodenfeuchtigkeit, Pestizidrückständen, Proteinen oder gefährlichen Stoffen sowie zur Schädlingserkennung sammeln zu können. So könnten beispielsweise Daten zum Wasserzustand einer Pflanze Hinweise auf den Beginn von Trockenheitsstress liefern. Chemoresistive Sensoren, die auf CNTs aufgebaut sind, sollen die langfristige Überwachung von Ethylen ermöglichen, einem Pflanzenhormon, das als wichtiger Indikator für die Reifung von Früchten gilt.

Aufnahme und Translokation von CNTs in Nutzpflanzen

Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte, dass CNTs die Expression von Genen verändern können, die eine wichtige Rolle beim Wassertransport und bei der Stresssignalisierung spielen. CNTs können gemäss einer Studie von 2007 das Gen aktivieren, das für das Wasserkanalprotein Aquaporin kodiert, das als eines der wichtigsten Membranproteine gilt, die den Wassertransport in Pflanzen erleichtern. und sie können das Wachstum von Tomaten- und Weizensetzlingen stimulieren, indem sie mehr neue Poren in der Zellwand und der Plasmamembran bilden, die für den Wassertransport verantwortlich sind. Eine andere Studie untersuchte umfassend die Auswirkungen von CNTs auf die Akkumulation und den Transport verschiedener organischer Schadstoffe – u.a. chlororganische Pestizide, organische Phosphor-Pestizide, Pyrethroid-Insektizide oder Medikamente – aus dem Boden in verschiedene Teile der Senfpflanze.

Forschungsbedarf zu Risiken ist hoch

Darüber hinaus könnten an CNTs adsorbierte Verbindungen in Pflanzen freigesetzt werden, was einen Weg darstellt, um bspw. Nährstoffe effektiv an bestimmte Stellen intakter Pflanzen zu bringen. Allerdings sammeln sich die CNTs auch in den Wurzeln an, was negative Auswirkungen haben könnte, wie z. B. eine mögliche Nanotoxizität, die Hemmung des Nährstofftransports und die Beeinträchtigung des Pflanzenwachstums. Im Hinblick auf die menschliche Gesundheit und Sicherheit seien weitere Forschungen zur Nanostruktur erforderlich, heisst es in der Übersicht - insbesondere in den Wurzeln essbarer Pflanzen, um die erhöhte Exposition gegenüber Schadstoffen und Nanopartikeln zu minimieren.

Abwehrmechanismen von CNTs gegen Umweltbelastungen

Verschiedene biotische (Krankheitserreger und Pflanzenfresser) und abiotische (Salzgehalt, Trockenheit, Hitze, hohe Lichtintensität und Schwermetalle) Belastungen für Kulturpflanzen würden durch den Rückgang der Anbauflächen, die Verknappung der Wasserressourcen, die Auswirkungen des Klimawandels und den Einsatz minderwertiger Agrochemikalien verschärft, schreiben die Autoren der Übersichtsstudie und würden sich insgesamt negativ auf das Wachstum und den Ertrag der Pflanzen auswirken. Dürre und Versalzung verursachten in der Landwirtschaft jährlich Verluste in Milliardenhöhe. Bei diesen setzen mehrere Studien an. Sie haben die Auswirkungen von CNTs auf das Pflanzenwachstum und die Produktivität unter verschiedenen abiotischen Stressfaktoren nachgewiesen. Beim Schwarzen Bilsenkraut bsw. zeigte sich, dass CNTs in niedrigen Konzentrationen die Trockentoleranz signifikant erhöhten, indem sie die Wasseraufnahme verbesserten und pflanzliche Abwehrmechanismen aktivierten.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

CNTs, so die Autoren der Übersichtsstudie, hätten ein hohes Potenzial, die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zu fördern, indem sie das Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen verbessern, die Freisetzung von Nährstoffen und Düngemitteln steuern, die die Zielaktivität erhöhen, und physiologische Veränderungen in Pflanzen bewirken, die zu einer erhöhten landwirtschaftlichen Produktivität unter Umweltstressbedingungen führen.

Trotz der genannten Vorteile gebe es immer noch mehrere Hindernisse für die Anwendung von CNT-basierten Behandlungen in Pflanzensystemen. Aufgrund ihrer geringen Grösse, ihrer grossen Oberfläche und ihrer Fähigkeit, Zellwände zu durchdringen und mit intrazellulären Strukturen zu interagieren, können CNTs in Pflanzenzellen eine potenzielle zelluläre und genetische Phytotoxizität hervorrufen, indem sie oxidativen Stress fördern und die Genexpression von Pflanzen verändern. Einige Studien hätten auch gezeigt, dass CNT zytotoxische Wirkungen haben, wie z. B. die Verringerung der Lebensfähigkeit von Zellen, eine verzögerte Blüte, eine verringerte Wurzellänge, das Welken und Einrollen von Blättern, den Verlust von Pigmenten, Ertragsminderungen und sogar den Zelltod. In mehreren Studien wurden die Auswirkungen von CNTs auf die mikrobielle Vielfalt und ihre Bedrohung für nützliche mikrobielle Populationen untersucht. CNT könnten sich möglicherweise im Boden ablagern und die Vielfalt und Population von Bodenmikroben beeinträchtigen. Einige Studien hätten auch gezeigt, dass mehrwandige CNTs als Schadstoffträger fungieren und die Anreicherung von Schadstoffen in Pflanzen beeinflussen können.

Bevor CNTs als antimikrobielle Mittel zum Einsatz kommen könnten, brauche es zusätzliche Forschung, um die Mechanismen, die das Pflanzenwachstum und die Toxizität beeinflussen, zu verstehen. CNTs fördern die Wasseraufnahme während der Keimung der Samen in Pflanzen. Der Mechanismus, der an der Wasseraufnahme im Inneren des Samens beteiligt ist, bleibt jedoch unbekannt. Auch hier seien weitere Untersuchungen erforderlich. CNTs sollen auch eine Rolle bei der physikalischen Reaktion auf abiotischen Stress spielen. Noch seien jedoch nur wenige Informationen über den Mechanismus vorhanden.

Auch die Sicherheit des Verzehrs von CNT-kontaminierten Pflanzenorganen bezeichnet die Studie als ein wichtiges Thema, das weiter untersucht werden muss, da CNT-kontaminierte Lebensmittel durch die Aufnahme von CNTs in den menschlichen Körper gelangen können. Um die zytotoxischen Wirkungen von CNT auf Bodenmikroorganismen zu bewerten, müssen zudem Monokulturversuche durchgeführt werden. Bevor sie kommerziell für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden, müssten noch sehr viele Aspekte untersucht werden.

Schlussfolgerungen der Autoren

In selben Mass, wie die Synthese und Verwendung von CNTs in verschiedenen Sektoren, insbesondere in der Landwirtschaft zunehme, werde auch ihre Verbreitung in der Umwelt wachsen. Daher sei es wichtig, das Verhalten und die Auswirkungen von CNTs auf das Ökosystem zu bewerten. Um ein besseres Verständnis der Mechanismen der Aufnahme und Verteilung von CNT in Pflanzen zu erlangen, seien weitere Studien dringend erforderlich. Nur so werde eine sichere Verwendung von CNT in der Landwirtschaft dereinst möglich.