Der transgene Golden Reis kann dank eines eingeführten Gens aus Mais β-Carotin produzieren (Bild: Wikimedia Commons).
Am 3. Dezember veröffentlichte die NZZ einen ausführlichen Artikel über eine gentechnisch veränderte (GV) Reissorte namens Golden Rice (GR), die in den Philippinen nun erstmals offiziell zum menschlichen Verzehr angebaut wird. Implizit wird im Artikel Menschen und Organisationen, die gentechnisch veränderten Lebensmitteln kritisch gegenüberstehen, vorgeworfen, der Armutsbekämpfung im Wege zu stehen. Es sei dem Widerstand solcher Kritiker:innen geschuldet, «dass in all den Jahren Millionen Kinder leiden und sterben mussten», wird der GR-Erfinder zitiert. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO erblinden weltweit jährlich bis zu 500 000 Kinder aufgrund von Vitamin-A-Mangel. Dieses findet sich in tierischen Produkten oder, als β-Carotin (einer Vorstufe von Vitamin A) in Gemüsen und Früchten. Doch in den Philippinen umfasst der Speiseplan bei der armen Bevölkerung fast ausschliesslich weissen Reis, der zwar Kohlenhydrate, aber kaum Mikronährstoffe enthält. GR enthält β-Carotin. Laut NZZ so viel, «dass ein Kind in den Philippinen durch seinen normalen Reiskonsum ungefähr die Hälfte seines täglichen Vitamin-A-Bedarfs decken kann.» Im Tages-Anzeiger ist sogar die Rede von «genügend Provitamin A, um den Tagesbedarf von Vorschulkindern fast oder ganz abzudecken.» Die Lebensmittel- und Gesundheitsbehörden in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland kommen hingegen zum Schluss, dass GR nicht genug β-Carotin aufweist, um als nahrhaftes Getreide vermarktet werden zu dürfen. Ferner erfordert die Umwandlung von β-Carotin in Vitamin A Fett. Kinder, die einen Mangel an Vitamin A haben, kommen aus armen Familien, die nicht regelmässig Fette zu sich nehmen. Daher ist unklar, ob sie das β-Carotin im GR überhaupt wirksam aufnehmen können. Darüber hinaus baut sich das β-Carotin nach der Ernte, Lagerung und Verarbeitung von GR schnell ab, ebenso bei Feuchtigkeit und hohen Temperaturen. Am besten liesse sich β-Carotin bewahren, wenn der Reis sofort vakuumiert und bei 4 Grad Celsius gelagert würde. Doch selbst diese in Südostasien fast unmöglich umzusetzenden Bedingungen könnten den Abbau nur um 54 % verringern. Ein weiterer Teil geht beim Kochen verloren. GR scheint also auch nach Jahrzehnten ausserstande zu sein, sein Versprechen zu erfüllen.
Ein unzulänglicher Lösungsansatz
Eine intakte Gesundheit erfordert die Aufnahme über die Nahrung von insgesamt 40 Nährstoffen. Die meisten Menschen, die an Mikronähstoffmangel leiden, leben in Südasien, einer Region, die über eine unglaubliche Vielfalt an Obst und Gemüse verfügt – ausgezeichnete Quellen für Mikronährstoffe. Einst umfasste der Speiseplan der Bevölkerung in Südostasien eine breite Palette von Grundnahrungsmitteln wie Maniok, Mais, Bohnen, Taro und Süsskartoffeln. Die gezielte Förderung einiger weniger ertragsstarker aber nährstoffarmer Pflanzensorten durch die grüne Revolution führte zwar zu mehr Kalorien, aber auch zu einer viel einseitigeren Ernährung. Heute essen die Menschen dreimal täglich Reis. Dies bewirkt nicht nur einen Mikronährstoffmangel, es trägt auch zu ernährungsbedingten Krankheiten wie Diabetes bei. Heute leben 60 % aller an Diabetes erkrankten Menschen in Asien, 90 % davon leiden an der vermeidbaren Form der Krankheit. Auch darum ist es problematisch, Hunger und Krankheit mittels vitaminangereicherten weissen Reises bekämpfen zu wollen. Gefragt sind systemische Ansätze. Partizipative Forschung in Andhra Pradesh und Telangana mit indischen Kleinbauerngemeinschaften zeigt, dass die Ernährung bei einer traditionellen Landwirtschaft sehr nährstoffreich ist und reichliche Mengen an Vitamin A und zahlreichen anderen Mikronährstoffen mit sich bringt. Dazu kommt, dass in den Philippinen um die Jahrtausendwende herum eine Kampagne lanciert wurde, welche auf die Wichtigkeit von Vitamin A hinwies. Dadurch konnte die Anzahl Menschen, die von einem Mangel an Vitamin A betroffen sind, markant reduziert werden. Die Frage ist, welches System gefördert werden soll: vielfältige traditionelle Ernährungsweisen, die auf diversifizierten Anbausystemen basieren, oder für Monokulturen geschaffene GV-Nutzpflanzen, bei denen einzelne Nährstoffe in höherer Konzentration vorliegen? Cris Paniero, ein Vertreter der philippinischen Organisation MASIPAG, sagt, dass die Milliarden, die für das GR-Projekt ausgegeben wurden, mehr bewirkt hätten, wenn damit die lokale Produktion vielfältiger Nahrungsmittel unterstützt worden wäre.
Sollen lokale Gemeinschaften oder Grosskonzerne unser Lebensmittelsystem organisieren?
Die allermeisten GV-Pflanzen sind patentiert und im Besitz grosser Konzerne, welche damit hohe Profite erzielen wollen. Komplizierter verhält es sich beim GR, deren Entwickler, Ingo Potrykus und Peter Beyer, den Reis zwar patentieren liessen, aber mit einer Firma, die später zu Syngenta wurde, ein Abkommen schlossen: Es sah vor, dass Syngenta das Recht hat, den Reis kommerziell zu verkaufen, aber Potrykus und Beyer behielten das Recht, den Reis an Kleinbauern zu verschenken. Kritikerinnen wie GM Watch sehen darin lediglich einen Versuch, die Akzeptanz von Gentechnik zu erhöhen: «Niemand hat angeboten, das Reissaatgut umsonst zu produzieren und zu vertreiben.»
Glenn Davis Stone, Professor für soziokulturelle Anthropologie und Umweltstudien an der Washington University St. Louis, betont zudem, dass die meisten Familien mit Kindern, die an Vitamin-A-Mangel leiden, gar kein Land besitzen, auf dem sie den GR anpflanzen könnten. Daher mischen viele Länder den Grundnahrungsmitteln Zucker und Mehl Vitamin A bei. Greenpeace bevorzugt an Stelle von GV-Reis die Abgabe von Vitamin A Kapseln und macht sich für die Errichtung von Gärten in armen Bezirken stark, damit dort Obst und Gemüse erzeugt werden kann: «Mittel- und langfristig kann nur die Versorgung mit vielfältigen Lebensmitteln die Mangelernährung beseitigen.» Auch die NPO Rice hält fest, dass eine abwechslungsreiche Ernährung und die Herstellung diversifizierter Pflanzenkulturen und Viehbestände bessere Lösungen darstellen als die Erhöhung des Mikronährstoffgehalts einiger weniger stärkehaltiger Grundnahrungsmittel. Die wirkliche Lösung – nicht nur für Unterernährung, sondern auch für Armut und soziale und ökologische Ungerechtigkeit – bestehe in der Förderung der Vielfalt der Ernährungsweisen und Landwirtschaftssysteme unter der Kontrolle von lokalen Gemeinschaften.
Hinter dem Hype um den Goldenen Reis verbirgt sich eine Agenda, die darauf abzielt, das Thema Hunger und die Sorge um die Ernährungssicherheit, die sich seit der Corona-Pandemie akzentuiert hat, dazu zu verwenden, die Privatisierung von Lebensmitteln und Landwirtschaft voranzutreiben. Aber das Problem der Mangelernährung darf nicht isoliert betrachtet werden. Denn es hängt immer mit Armut und Chancenungleichheit zusammen. Die Liberalisierung der Agrarrohstoffhandels, Landraub, sowie die steigende Kontrolle der Konzerne über Landwirtschaft und Lebensmittel verhindern den Zugang Ärmerer zu nahrhaften Lebensmitteln.
Risiken für Umwelt und Gesundheit
Die Zulassung in den Philippinen erfolgte ohne unabhängige Daten betreffend die Sicherheit von GR. Dass dieser Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit birgt, wird häufig ignoriert oder geleugnet. Das Magazin Republik behauptet: «Heute gilt in der Wissenschaft als Konsens: Die Pflanzen sind so sicher oder unsicher wie Pflanzen, die auf anderem Weg gezüchtet werden.» Beim Tages-Anzeiger tönt es ähnlich. Kritische Stimmen wie diejenige von Michael Hansen, einem für einen lokalen Konsumentenverband tätigen Wissenschafter, der dem philippinischen Repräsentantenhaus detailliert aufzeigte, welche unbeabsichtigten Wirkungen der Versuch, Biosynthesewege zu verändern hervorrufen kann, finden kein Gehör. Auch die Gefahr, dass es zu Auskreuzungen auf traditionelle Reissorten kommen kann, bleibt unerwähnt, obwohl entsprechende Vorfälle bei Freisetzungsversuchen mit GV-Reis in China und den USA bekannt sind. Da die Philippinen eines der wichtigsten Zentren der biologischen Vielfalt von Reis darstellen, wäre eine Kontamination dieser Sorten mit GV-Reis besonders problematisch.
Mit konventioneller Züchtung zu höheren Nährstoffgehalten
Viele Publikationen loben die Entwicklung von GV-Pflanzen mit höheren Nährstoffgehalten, aber verschweigen, dass dies auch mit konventionellen Zuchtmethoden möglich ist. Obwohl zum Beispiel eine mittels konventioneller Züchtung erzeugte Reissorte mit erhöhten Zink- und Eisenanteilen bereits seit Jahren erfolgreich angebaut wird und somit keine Notwendigkeit besteht, arbeitet das Institut, das ihn entwickelte, aktuell an einer gentechnisch veränderten Reissorte mit denselben Eigenschaften.