Patentflut
Ein Bericht der Organisation Global2000 geht der wachsenden Flut von Patentanmeldungen auf Pflanzen und Lebensmittel aus neuer Gentechnik auf den Grund (Bild: Shutterstock).

Aktuell gilt für neue und alte gentechnisch veränderte Organismen (GVO) das gleiche EU-Recht. Dieses sieht eine Risikoprüfung, eine klare Kennzeichnung sowie die Rückverfolgbarkeit der in Verkehr gebrachten GVO vor. Doch die Europäische Kommission beabsichtigt, GVO, die durch neue gentechnische Verfahren (NGV) erzeugt werden, von der bestehenden GVO-Gesetzgebung auszuklammern, um so einen vereinfachten Zugang zum EU-Markt zu erreichen. Wird die geplante Deregulierung umgesetzt, entfallen die Risikobewertungen, Rückverfolgbarkeits- und Kennzeichnungsvorschriften für etwa 95 % aller NGV-Pflanzen, die sich derzeit in der Entwicklungspipeline befinden. Damit liesse sich der Umstand, dass GV-Lebensmittel von den Konsumierenden abgelehnt werden, auf raffinierte Weise lösen. Denn ohne Deklarierung weiss niemand mehr, was in unseren Lebensmitteln steckt. Die mächtigen Saatgut- und Chemieunternehmen blicken also noch grösseren Gewinnen entgegen.

Zwei Riesen kontrollieren die Patentlandschaft auf CRISPR/Cas

Dazu kommt, dass sich sowohl die neuen Genomeditierungsverfahren wie CRISPR/Cas als auch die Produkte, die daraus entstehen, patentieren lassen. Gemäss vorherrschender Sichtweise der Biotech-Industrie lässt sich ein Patent als Schutztitel begreifen, den der Staat für technische Erfindungen erteilt und der für Erfinder:innen einen Anreiz darstellt, ihr Wissen mit der Gesellschaft zu teilen, indem das Patent den Erfinder:innen im Gegenzug ein zeitlich befristetes Monopol gewährt. Während die Grundlagenpatente für viele biotechnologische Verfahren im Besitz von Forschenden oder universitären Forschungsabteilungen sind, gehören die Patentrechte für ihre Nutzung in der Landwirtschaft einigen wenigen Biotech-Konzernen, wie ein neuer Bericht von Global2000 aufdeckt. Konkret führen zwei Unternehmen das grosse Rennen um Patente auf NGV-Pflanzen an: Bayer (heute im Besitz der Firma Monsanto) und Corteva (früher Dow, DuPont und Pioneer). Dazu kommt, dass alles, was im Zusammenhang mit CRISPR/Cas patentiert werden kann, bereits patentiert wurde. Wer diese Technologie also bei Pflanzen nutzen will, muss mit der Patentinhaber:in verhandeln und hohe Lizenzgebühren in Kauf nehmen.

Nun ist es aber keineswegs so, dass Bayer und Corteva die Erfindungen, die ihren Patenten zugrunde liegen, alle selbst hervorbrachten. Vielmehr schlossen sie mit den Forschungsinstituten, welche die Technologien entwickelt haben, Lizenzabkommen ab. Dadurch kommen sie in den Genuss der Monopolstellung, die eigentlich als Kompensation gedacht war für die Ressourcen und die Zeit, die der Erfinder oder die Erfinderin aufwendete. Die damit verbundene Marktmacht ist beträchtlich. Corteva und Bayer kontrollieren 40 % des kommerziellen Saatguts. Zusammen mit BASF und ChemChina beherrschen sie sogar 60 % des globalen Saatgutmarktes (Stand 2020, siehe Bericht von Testbiotech e.V.).

Schlupflöcher im Patentrecht

Eigentlich sieht das Patentsystem vor, dass lediglich Erfindungen patentierbar sind, die ausserdem neu sein müssen und Lösungen für ein technisches Problem darstellen. Pflanzen und Tiere können demgegenüber entdeckt, nicht aber erfunden werden. Allerdings wurde sowohl der Kreis der patentierbaren Gegenstände wie auch die Reichweite der Patente selbst im Laufe der Zeit erheblich ausgeweitet. Laut dem europäischen Patentrecht sind „im Wesentlichen biologische Verfahren“ und die daraus resultierenden Produkte nicht patentierbar. Ebenfalls nicht patentierbar sind einzelne Pflanzensorten. Doch auf Erfindungen, die auf mehr als eine Sorte angewendet werden können, dürfen Patente erteilt werden. Wird ein Patent auf eine genetische Sequenz oder Eigenschaft erteilt, die in einer Reihe von Pflanzensorten vorkommt, dürfen diese Sorten von Züchterinnen oder Landwirten nur verwendet werden, wenn sie von der Firma, die die Patente besitzt, eine entsprechende Lizenz erwerben.

Biotech-Giganten melden trotz den oben beschriebenen Bestimmungen im Patentrecht immer noch (oft erfolgreich) Patente auf Pflanzen an, die durch konventionelle Züchtung gewonnen wurden. Deswegen setzt sich die Organisation "No Patents on Seeds!" dafür ein, die rechtlichen Schlupflöcher zu schliessen, die es ermöglichen, dass solche Patente erteilt werden, obwohl dies geltendem EU-Recht widerspricht.

Darüber hinaus zielen heute viele Patentanträge darauf ab, die fundamentalen biologischen und technischen Unterschiede zwischen Gentechnik und traditioneller Züchtung zu verwischen. Dies ermöglicht eine so grosse Ausweitung der Reichweite der Patente, dass sich letztere auf alle Organismen (Pflanzen oder Tiere) mit der im Patent beschriebenen Eigenschaft erstrecken, unabhängig davon, wie diese erzeugt wurden.

Intransparenz verhindert Überblick

Unternehmen sind nicht dazu verpflichtet, anzugeben, welche ihrer vermarkteten Produkte mittels patentierter Erfindungen entwickelt wurden. Daher ist es möglich, dass Landwirt:innen und Züchter:innen gar nicht bewusst ist, dass das von ihnen verwendete Saatgut ein patentiertes Merkmal enthält. Patente können sowohl auf Prozesse erteilt werden (z.B. wie etwa auf die Anwendung von CRISPR/Cas zur Herstellung von bestimmten Produkten) als auch auf neue Produkte (z.B. eine veränderte DNA-Sequenz, die einer Sorte bestimmte Eigenschaften verleiht). Corteva besitzt beispielsweise das Patent EP 2893023, das in erster Linie eine CRISPR-Methode zur Veränderung der DNA betrifft. Die mittels CRISPR veränderte genetische Sequenz wurde jedoch in eine Vielzahl von Kulturpflanzen eingeführt – und einer der Patentansprüche deckt auch alle Zellen, Samen und Pflanzen ab, welche diese genetische Sequenz enthalten. Betroffen sind beispielsweise Weizen, Reis, Soja, Brokkoli, Mais, Baumwolle, Gerste und Sonnenblumen.

Für Landwirt:innen ist diese Intransparenz unbefriedigend. Einerseits müssen sie das patentierte GV-Saatgut jährlich neu kaufen, da sie keine Samen zurückbehalten dürfen. Andererseits können sie verklagt werden, wenn sich auf ihren Feldern patentierte GVO finden, ohne dass sie dafür bezahlt haben. Doch letztere können auch durch zufällige Auskreuzung auf ihre Felder gelangen (Verunreinigung von Saatgut, Windtransport von GV-Pollen, Verschleppung keimfähiger GV-Samen durch Tiere). Zudem können manche der patentierten Eigenschaften auch auf natürliche Weise oder als Ergebnis konventioneller Züchtung entstehen.

Die aus dieser Situation hervorgehende Rechtsunsicherheit betrifft in unverhältnismässiger Weise kleine und mittlere Unternehmen, weil diese nicht über beratenden juristischen Teams verfügen. Der Bericht von Global2000 zeigt auf, dass dies das Überleben solcher Unternehmen zunehmend erschwert und zu einer weiteren Konzentration in der Saatgutindustrie führt.

Höhere Kosten und rechtlicher und administrativer Mehraufwand

Für die Pflanzenzucht bedeutet der explosionsartige Anstieg der Anzahl von Patenten einen rechtlichen und administrativen Mehraufwand und erhöht die Kosten massiv. Folglich stehen den Züchter:innen immer weniger nicht patentierte, gentechnikfreie Pflanzensorten zur Verfügung. Durch diesen immer knapperen Zugang wird die Entwicklungsfähigkeit der heimischen Pflanzenzüchtung, die grösstenteils aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht, stark einschränkt. Amadeus Zschunke von der Firma Sativa Rheinau, die sich im Bereich der biodynamischen Neuzüchtung, dem Erhalt von Gemüsesorten und der Saatgutvermehrung engagiert, erklärt dies wie folgt: «Züchtung ist immer auf Austausch angewiesen. Nur so kann neue Vielfalt geschaffen werden und nur so können neue Sorten entstehen. Wir brauchen auch in Zukunft den Zugang zu den Sorten anderer Züchter. Wenn wir in Zukunft aber nicht mehr wissen, welche Sorten genomeditiert sind, müssen wir sie aus unserer eigenen Züchtung ausschliessen. Schrittweise wird so unserer Züchtung die Möglichkeit genommen, neue und innovative Sorten für den Biolandbau von Morgen zu entwickeln.»

Diese Entwicklung bedroht also nicht nur die Lebensfähigkeit des gentechfreien Pflanzenzuchtsektors, sondern schränkt auch die Entwicklung von Kulturpflanzen ein. Dies könnte sich wiederum auf die Widerstandsfähigkeit unserer Lebensmittelsysteme auswirken.

Kontrolle über die Pflanzenzucht und unser ganzes Ernährungssystem

Aber auch um eine Deregulierung der neuen Gentechnik auf EU-Ebene zu erreichen, versuchen Interessengruppen, die an der Anmeldung von Patenten beteiligt sind, die Unterschiede zwischen traditioneller Züchtung und Gentechnik zu verschleiern. Anstatt von neuen Gentechnischen Verfahren wird etwa von «neuen Züchtungsverfahren» gesprochen. Wenn also behauptet wird, dass NGV natürlich und die gentechnischen Veränderungen in den Pflanzen und Tieren nicht nachweisbar seien und folglich nicht als GVO deklariert werden sollen, geht es in erster Linie darum, den Absatzmarkt für diese patentierten und somit extrem lukrativen Produkte zu vergrössern, indem den Konsument:innen die Entscheidungsgrundlage entzogen wird. Die mit der Deregulierung angestrebte Streichung der bestehenden Risikobewertung und Deklarationspflicht reduziert die Verantwortung der vermarktenden Firmen auf Kosten der Sicherheit von Mensch und Umwelt.

Damit wir uns auch in Zukunft noch ernähren können

Die zunehmende Zahl von Patenten auf Pflanzen, Saatgut und Nutztiere stellt einen Missbrauch des Patentrechts dar. Er gefährdet den Zugang zu grundlegenden Ressourcen in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Global2000 fordert daher die Schliessung von Schlupflöchern im europäischen Patentrecht. Gefordert wird ausserdem eine Regelung, die klar definiert, dass konventionelle Züchtung, genetisches Material, Tiere, Pflanzen und daraus gewonnene Lebensmittel nicht patentierbar sind. Neue gentechnische Verfahren führen zu GVO und müssen daher auch als solche reguliert, einer strengen Sicherheitsprüfung unterzogen und als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Nur so könne gegenüber der Gesellschaft und den Landwirt:innen Transparenz und Rückverfolgbarkeit über die gesamte Lieferkette gewährleistet werden. Um eine umfassende Risikoprüfung durchführen zu können, brauche es zudem mehr Forschung zu den Umwelt- Biodiversitäts- und Gesundheitsrisiken der neuen GVO. Zu guter Letzt weist die Organisation darauf hin, dass Innovationen im Bereich bereits bewährter, nachhaltiger Alternativen, wie agrarökologischer Ansätze, unterstützt werden sollen.

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