Fokusartikel

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(Bild: fotolia; Mikroskopische Aufnahme einer Zelle des Rüsselkäfers)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 99

Die Auswirkungen der neuen Gentechnik­verfahren sind nur unvollständig voraus­sehbar

Mit dem Aufkommen der neuen Gentechnikverfahren, besonders der Genscheren wie CRISPR/Cas, ist die Frage um die Gentechnikgesetzgebung neu entflammt und beschäftigt weltweit Regulierungsbehörden und Gerichte – auch in der Schweiz und der EU. Obwohl sie grundsätzlich einfach zu beantworten ist. Es handelt sich bei den neuen Techniken um Gentechnik. Zu diesem Schluss kommen verschiedene Rechtsgutachten. Nur eine Unter-stellung unter das Gentechnikrecht gewährt genügend Sicherheit und garantiert die Anwendung des Vorsorgeprinzips.

Text: Paul Scherer und Luigi D’Andrea

Die Regelung der Gentechnik ist seit ihrem Aufkommen in den 90er-Jahren politisch hochbrisant. Eine Vielzahl ethischer, ökologischer, wirtschaftlicher, geopolitischer und gesundheitlicher Überlegungen spielen mit. Sie kann nicht auf rein technische Gesichtspunkte beschränkt werden, sondern muss auch die Meinung der Öffentlichkeit miteinbeziehen, um zu annehmbaren Regelungen zu kommen.

Die aktuelle Gentechnikregulierung ist bereits in die Jahre gekommen. Denn sie basiert auf dem Wissensstand von Anfang der 2000er-Jahre. Die gesetzlichen Bestimmungen fokussieren dabei auf die Verfahren, welche zur genetischen Transformation eines Organismus eingesetzt werden. Denn diese Prozesse beinhalten eine Vielzahl von Unsicherheiten, welche unvorhersehbare und unerwünschte Auswirkungen auf das Genom haben können. Sie können sich auf die Physiologie des veränderten Organismus auswirken und damit auch auf die Umwelt, in der er lebt. Dies wiederum kann sich auch auf die Gesundheit anderer Organismen, die mit ihm in Berührung kommen, auswirken. Eine umfassende Überprüfung derartig veränderter Organismen ist daher unerlässlich, bevor sie freigesetzt werden dürfen.

In neuster Zeit hat sich die Technik jedoch schneller entwickelt als die gesetzlichen Regelungen, und so entstanden in kurzer Zeit zahlreiche rechtliche Grauzonen. Die heute diskutierten neuen Gentechnikverfahren (NGTV) entsprechen nicht mehr den juristischen Kategorien von damals, heisst es in einem Rechtsgutachten, das StopOGM und die SAG in Auftrag gegeben haben. «Eine Auslegung des gesetzlichen Rahmens und auf längere Sicht eine Anpassung ist daher nötig», sagt der Jurist Maximilian Stauber, der das Gutachten erstellt hat. Stauber ist Experte für das Vorsorgeprinzip, das die Grundlage des Gentechnikgesetzes bildet.

Internationaler Rahmen der Gentechnikregulierung

Fokus 99 Pflanzenzelle
Schon die kleinste Veränderung im Genom kann auf der Zellebene grosse Veränderungen auslösen. (Bild: fotolia; Pflanzenzellen unter dem Mikroskop)

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind verschiedenen internationalen Normen unterworfen. Das Cartagena-Protokoll, der Codex Alimentarius und das WTO-Abkommen (World Trade Organization = Welthandelsorganisation) bilden die wesentlichen Rechtsnormen für den Handel mit GVO. Theoretisch dürfen GVO gemäss WTO international frei gehandelt werden. Die Staaten können jedoch rechtmässige Beschränkungen erlassen, sofern diese den Vorschriften des Cartagena-Protokolls und des Codex Alimentarius entsprechen.

In der Praxis ist die Frage aber ungelöst. Denn die nationalen Definitionen, was ein GVO ist, sind sehr unterschiedlich. Daher kommt es immer wieder zu Rechtsverfahren vor dem Streitbeilegungsgremium der WTO, beispielsweise Anfang der 2000er-Jahre zwischen den USA, Kanada und Argentinien einerseits und der EU andererseits. Da viele Fragen weiterhin ungelöst sind, wird die Biotechnologie besonders auch mit den neuen Gentechnikverfahren ein Knackpunkt bei den internationalen Beziehungen bleiben – denn sie sind mit schwerwiegenden wirtschaftlichen und politischen Interessen verknüpft.

Das Gentechnikrecht in der Schweiz und der EU beruht auf dem Vorsorgeprinzip

Die EU-Gesetzgebung über die GVO beruht auf der Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001. Die europäische Regulierung der Gentechnik beruht – wie auch die schweizerische – auf dem Vorsorgeprinzip (Glossar) und bezweckt den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Die verwendete Definition des Vorsorgeprinzips ist abgeleitet von Grundsatz 15 der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung: «Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten allgemein den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Massnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.» Es genügt folglich ein vorauszuahnender Schaden, um Massnahmen zu dessen Einschränkung zu ergreifen.

Art. 120 der Schweizer Bundesverfassung beauftragt den Bund, die Verwendung des Keim- und Erbguts von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen gesetzlich zu regeln, um den Menschen und seine Umgebung gegen Missbräuche in der Gentechnik zu schützen. Auf diesem Verfassungsartikel basiert das Schweizer Gentechnikgesetz (GTG) von 2003. Das GTG definiert GVO als «Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt». Das GTG bezweckt den Schutz des Menschen, der Tiere, der Umwelt und der Wahlfreiheit der KonsumentInnen. Konkretisiert wird das GTG beispielsweise durch die Freisetzungsverordnung (FrSV), die den Umgang mit GVO in der Umwelt regelt, und durch Verordnungen der Lebensmittelgesetzgebung.

Europäischer Gerichtshof muss entscheiden

Fokus 99 Landschaft
Gentechnische Veränderungen des Genoms können sich auf die Physiologie des veränderten Organismus auswirken und damit auch auf die Umwelt, in der dieser lebt. Dies wiederum kann sich auch auf die Gesundheit anderer Organismen, die mit ihm in Berührung kommen, auswirken. (Bild: Greenpeace)

Das geltende Gentechnikrecht der EU nimmt bestimmte Verfahren, zum Beispiel die Mutagenese, von der Regelung aus. Der Grund für die sogenannte Mutagenese-Ausnahme ist historisch bedingt. Die zufällige Mutagenese, die auf Strahlung oder chemischer Behandlung beruht, wurde in der Züchtung bereits seit 1920 verwendet. Daher wurde sie – obwohl es sich strenggenommen um Gentechnik handelt – als ein seit langem als sicher geltendes Verfahren eingestuft. Auch in der Schweiz.

Diese Ausnahmeregelung der Mutagenese sorgt nun in der Diskussion um die rechtliche Einordnung der neuen Gentechnikverfahren für heftige Diskussionen. Der Europäische Gerichtshof EuGH muss entscheiden, ob neue Mutagenese-Techniken (z.B. CRISPR/Cas) gentechnische Prozesse implementieren und als gentechnische Verfahren eingestuft werden müssen oder nicht. «Nein», fordern Gentechnikbefürworter. Bei den Veränderungen des Erbgutes, die beispielsweise durch die Genschere CRISPR/Cas ausgelöst werden, handle es sich um eine gezielte Mutation. Dieses Vorgehen sei praktisch identisch mit der althergebrachten Mutationszüchtung. Dieser Interpretation widersprechen verschiedene Rechtsgutachten. Maximilian Stauber weist in seinem SAG-Gutachten darauf hin, dass den NGTV technisch komplexe Prozesse zugrunde liegen, die abhängig von Instrumenten und Laborbedingungen seien. Sie könnten nicht ohne menschliches Zutun entstehen. Aus diesem Grund seien sie klar als Gentechnik einzustufen.

Auch Biologen zweifeln, dass derartige Mutationen natürlicherweise auftreten könnten. Sie heben zudem hervor, dass es mit CRISPR/Cas möglich ist, gleichzeitig mehrere Veränderungen im Genom vorzunehmen, sogenanntes Multiplexing. Dass solche Mehrfachveränderungen in der Natur oder durch traditionelle Selektionsverfahren auftreten könnten, stufen Experten als äusserst unwahrscheinlich ein. Limagrain, eine der grossen Saatgutfirmen, erschuf im Labor eine Weizensorte mit einer dreifachen Resistenz gegen Mehltau. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Weizensorte natürlicherweise gleichzeitig diese drei gewünschten Resistenzgene aufweist, ist verschwindend klein. Limagrain schreibt zu ihrer Wunderpflanze: In der Natur hätte dazu jede einzelne Weizenpflanze beobachtet werden müssen, die seit 4 Millionen Jahren auf unserem Planeten wuchs, um eine einzige Pflanze zu finden, die spontan über die drei richtigen Versionen des Gens verfügt. CRISPR/Cas machte es möglich.

Als 2001 in der EU die Gentechnikregulierung in Kraft trat, war CRISPR/Cas noch nicht entdeckt. Würde dieses neue Gentechnikverfahren von den strengen Regulierungen der Gentechnikgesetzgebung ausgenommen, könnten damit hergestellte Pflanzen ohne Prüfung ihrer Risiken für Umwelt und Gesundheit angebaut und ohne Deklaration als Lebens- und Futtermittel vermarktet werden. «Die neuen Techniken müssen einer Überprüfung unterzogen werden, solange sie «neu» sind, d.h. solange bis die Verfahren gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden», so das Fazit des Rechtsgutachtens. Dies gelte auch für die Schweiz. Da sich das Schweizer und das EU-Recht nicht nur dem Buchstaben nach, sondern auch im Geist ähnlich seien.

Die Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnologie im ausserhumanen Bereich (EKAH) kommt zum selben Schluss. Basierend auf dem Vorsorgegedanken müssten die neuen Gentechnikverfahren einer Risikoprüfung unterzogen werden, schreibt die EKAH in einem Bericht. Die neuen Gentechnikverfahren könnten nicht als bewährte Verfahren mit bekannten und beherrschbaren Risiken gewertet werden. Neue Studien zeigen, dass bei der CRISPR/Cas9-Methode immer wieder unvorhersehbare Veränderungen an unerwarteten Stellen im Genom auftreten – sogenannte «off target»-Effekte. Die EKAH weist ausserdem darauf hin, dass die Interaktion mit der natürlichen Umwelt fehlt, da es sich bei diesen Verfahren um Labortechniken handle und dass Erfahrungen aus anderen Bereichen, z.B. Asbest oder BSE zeigen, wie gefährlich ungenügende Risikoabklärungen seien.

Die Frage, ob die neuen Gentechnikverfahren und deren Produkte der Gentechnikgesetzgebung unterstellt werden oder nicht, sei schlussendlich eine strategische Entscheidung, folgert Stauber. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Gesellschaft für allfällige Schäden durch den Einsatz der neuen gentechnischen Verfahren aufkommen müsste und keine Versicherungsgesellschaft bereit ist, diese Risiken zu versichern.

Fokus 99 Cartagena
Das Cartagena-Protokoll wurde nach der kolumbianischen Stadt Cartagena benannt, wo es 2003 beschlossen wurde. Es regelt völkerrechtlich bindend den grenzüberschreitenden Transport und den Umgang mit GVO im Bezug auf die von der modernen Biotechnologie ausgehenden Risiken für die biologische Vielfalt oder die menschliche Gesundheit. Der Codex Alimentarius definiert die international geltenden Normen im Lebensmittelbereich. Eine Norm des Codex betrifft insbesondere Lebensmittel, die dank moderner Biotechnologie entstehen. (Bild: © Google, 2018 DigitalGlobe)

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(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 105

Neue Gentechverfahren bei Mikroorganismen

Bisher finden Gentechmikroben in der Getränke- und Lebensmittelindustrie keine direkte Verwendung. Nur Enzyme und Vitamine, die mit Hilfe von Mikroorganismen hergestellt und isoliert werden, kommen zum Einsatz. Doch nun kreieren ZüchterInnen mit neuen Gentechverfahren Mikroben, die ohne artfremde Gene sind. Ob die Industrie sie einsetzt, wird auch von der rechtlichen Regulierung abhängen, deren Revision jetzt zur Diskussion steht. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.

Text: Benno Vogel

Ob bei Milchsäurebakterien für Joghurt und Dickmilch, bei Mikroalgen für Nahrungsergänzungsmittel oder bei Hefen für Brot, Bier und Wein – in den Züchtungslaboren entstehen derzeit eine Reihe neuer Mikroben für die Brauerei- und Lebensmittelbranche, die eines gemeinsam haben: Sie entspringen zwar gentechnischenVerfahren, besitzen aber keine artfremden Gene und verwischen damit die gewohnte Grenze zwischen «herkömmlich gezüchtet» und «gentechnisch verändert». Noch wachsen derartige Mikroben erst in den Petrischalen und Schüttelkolben der Forschung und noch ist es unklar, ob und wann Firmen sie auf den Markt bringen wollen. Klar ist hingegen, dass die Schweiz zu entscheiden hat, welche Vorschriften Firmen bei Markteinführungen der Mikroben einhalten müssten. Der Grund für die herrschende Rechtsunsicherheit sind neuartige gentechnische Verfahren. Wie bei der Züchtung von Tieren und Pflanzen führen sie auch bei der Mikrobenzüchtung zur Kreation von Organismen, bei denen umstritten ist, ob sie rechtlich als GVO oder Nicht-GVO zu klassieren sind und wie sie reguliert werden sollen: Wie GVO nach Gentechnikrecht? Nach den gleichen Vorschriften wie Nicht-GVO? Oder mit neuen, noch zu erlassenden Bestimmungen?

Wie die Antwort ausfällt, dürfte sich Ende 2019 zeigen. Bis dahin will der Bund nämlich die Eckpunkte in die Vernehmlassung schicken, nach denen er neue gentechnische Verfahren und damit auch die neuartigen Hefen, Mikroalgen, Schimmelpilze und Milchsäurebakterien regulieren will, die derzeit in Entwicklung sind.

Um welche Mikroben und Verfahren es dabei geht, zeigt ein Blick in die Züchtungslabore.

Gentech-Hefen für Bier, Wein und Brot

Fokus 105 Hefe
(Bild: Shutterstock)

Eines dieser Labore gehört zum Vlaams Instituut voor Biotechnologie der belgischen Universität Löwen. Dort arbeiten Forschende daran, neue Hefestämme für Bierbrauereien zu kreieren. Eines ihrer Ziele ist es, mit neuen Stämmen die Aromavielfalt von Lagerbieren zu erhöhen. Hefen bringen nicht nur den Alkohol ins Bier, sie bilden während der Gärung auch hunderte Substanzen, die den Geschmack prägen. Mit Hefen, die mit Genom-Editierung verändert wurden, wollen die Forschenden auf das Bieraroma Einfluss nehmen. Das dabei eingesetzte Werkzeug wiederum ist CRISPR. Das Tool also, das seit einigen Jahren für Furore sorgt, weil es die Gentechnik vereinfacht. Es ermöglicht, Gene aus dem Erbgut herauszunehmen, sie auszuschalten oder gezielt einzelne Buchstaben ihrer Sequenz zu ändern, ohne dass Spuren artfremder DNA-Sequenzen zurückbleiben.

Forschende an der Universität von Toronto haben das Erbgut von Weinhefe ins Visier genommen. Mit CRISPR veränderten sie Hefen gentechnisch, indem sie ein bestimmtes Gen ausschalteten. So konnten sie Chardonnay und Cabernet Sauvignon herstellen, die weniger Urethan enthalten – eine krebserregende Substanz, die sich natürlicherweise bei der Gärung bildet.

Neben Bier und Wein könnten auch Backwaren bald mit Hilfe von Gentech-Hefen entstehen. An der Universität von Tianjin in China existieren Geneditierte Backhefen, die das Tiefgefrieren unbeschadet überleben. Diese Kältetoleranz gilt in der Backindustrie als interessant, weil die Hefen auch nach dem Einfrieren eine hohe Triebfähigkeit behalten.

Neuartige Nutzungen von Mikroben

Fokus 105 MikrobenDie Zahl der Vorhaben mit geneditierten Mikroben wächst sehr schnell. Untersuchungen zur Genauigkeit der Verfahren, zu Risiken oder Sicherheit der so veränderten Mikroben und zur Akzeptanz dieser Verfahren bei KonsumentInnen sind dagegen noch sehr selten. (Bild: Shutterstock)

Dass Genom-Editierung auch bei Forschenden in der Schweiz auf Interesse stösst, zeigt die im Februar 2019 vom Netzwerk Swiss Food Research lancierte Arbeitsgruppe Bioconversion. Unter Einbezug von CRISPR verfolgt sie den Plan, neuartige Nutzungen von Mikroben als Nahrungs mittel zu entwickeln. Mitglied der Arbeitsgruppe ist neben der ETH Zürich und der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebenswissenschaften auch Agroscope. Dort wiederum läuft seit 2018 ein Projekt, das CRISPR bei Milchsäurebakterien etablieren will. Damit sollen unerwünschte Gene wie etwa Anleitungen für Toxine oder Antibiotikaresistenzen aus dem Erbgut entfernt und natürlich vorkommende Milchsäurebakterien für die Ernährungswirtschaft besser nutzbar werden – sei es als Bestandteil von Probiotika oder von Starterkulturen für die Herstellung von Käse, Joghurt, Buttermilch und Rohwurst.

Mit ihrem Wunsch, Gene aus Milchsäurebakterien zu beseitigen, stehen die Forschenden von Agroscope nicht allein da. In den Niederlanden hat die Firma NIZO jüngst gezeigt, wie sich mit CRISPR Viren entfernen lassen, die sich im Erbgut der Bakterien eingenistet haben und deren Nutzung als Starterkultur stören. In Dänemark wiederum haben Forschende des Center for Biosustainability der Novo-Nordisk-Stiftung eine CRISPR-basierte Methode entwickelt, um Bakterien von unerwünschten Plasmiden zu befreien.

Risikoforschung fehlt weitgehend

Während die Zahl der Vorhaben mit geneditierten Mikroben wächst, fehlt es weitgehend an Untersuchungen zur Genauigkeit der Verfahren, zu Risiken oder Sicherheit der so veränderten Mikroben und zur Akzeptanz von geneditierten Hefen und Bakterien bei KonsumentInnen. Eine der wenigen Studien in diesem Bereich stammt von der englischen Universität Saint Andrews. Dort haben Forschende die Genauigkeit von CRISPR geprüft und Hefen genauer untersucht, bei denen sie zuvor ein Gen ausgeschaltet hatten. Was sie dabei überraschend entdeckten: Die Hefe hatte Lachs-DNA in ihr Erbgut eingebaut. Diese DNA wird Hefen während der Genom-Editierung zugegeben, weil sie die Effizienz des Verfahrens steigert – ein Einbau ins Erbgut war nicht angestrebt.

Da Untersuchungen zur Genauigkeit, Sicherheit und Akzeptanz Mangelware sind, fehlen wichtige Grundlagen für die Diskussion der anstehenden Fragen: Welche Sorgfalt müssen Firmen beim Umgang mit geneditierten Mikroben an den Tag legen? Braucht es vor deren Markteinführung eine staatliche Sicherheitsprüfung? Welche Anforderungen wären dabei zu erfüllen? Und soll Dritten gegenüber mit einer Kennzeichnung transparent gemacht werden müssen, dass bei der Züchtung Gentechnik zum Einsatz kam?

In der Europäischen Union fallen die Antworten auf diese Fragen derzeit gut aus – zumindest aus Sicht von Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen. Denn dort hat der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden, dass geneditierte Organismen unter die Gentechnikgesetzgebung fallen und somit den gleichen Anforderungen an Sicherheit und Transparenz genügen müssen wie herkömmliche GVO. Ob dieses hohe Schutzniveau in der EU Bestand haben wird, ist jedoch unklar. Der Druck aus Forschung und Industrie auf eine Aufweichung der gesetzlichen Vorschriften ist gross und BeobachterInnen sind sich einig, dass nach der Wahl des EU-Parlaments Ende Mai die Diskussion um eine Lockerung des Gentechnikrechts beginnen wird.

Folgt die Schweiz der EU?

Fokus 105 WeinDa Hefe für die Gärung von Wein benötigt wird, rückte auch das Erbgut von Weinhefe ins Zentrum von Forschungsprojekten. Mit CRISPR/Cas haben Forschende ein Hefegen ausgeschaltet und so Weine hergestellt, die weniger Urethan enthalten – eine krebserregende Substanz, die sich natürlicherweise bei der Gärung bildet. (Bild: Shutterstock)

In Bern dürfte der Bund diese Diskussion aufmerksam verfolgen. Um Handelsbeschränkungen mit dem wichtigsten Partner zu vermeiden, wird er sich bei der Regulierung der neuen Gentechnik nämlich an die EU anlehnen müssen. Wie weit er mit der Harmonisierung gehen will, ist derzeit offen.

Offen ist auch, ob er die bei der Cisgenese bestehende Ungleichheit beseitigen wird. Mit diesem Begriff bezeichnen GeningenieurInnen ihr Vorgehen, wenn sie Gene ins Erbgut von Organismen übertragen, die von der gleichen oder einer kreuzbaren Art stammen. Erfolgt die Cisgenese, die mit CRISPR wie auch mit herkömmlicher Gentechnik möglich ist, bei Tieren und Pflanzen, fällt sie unter das Gentechnikrecht – und zwar sowohl in der EU als auch in der Schweiz. Anders ist die Situation bei cisgenen Mikroben: Während sie in der EU bei Markteinführungen immer als GVO gelten, dürfte dies in der Schweiz von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Der Grund liegt darin, dass hierzulande die Selbstklonierung und somit bestimmte Formen der Cisgenese vom Gentechnikgesetz ausgenommen sind.

In einigen Ländern sind cisgene Mikroben bereits zugelassen oder auf dem Markt erhältlich. In Japan zum Beispiel, wo cisgene Mikroben keine GVO sind, soll selbstklonierte Hefe für die Herstellung von Reiswein erhältlich sein. In den USA wiederum hat die Lebensmittelbehörde selbstklonierte Back- und Weinhefen als gesundheitlich unbedenklich eingestuft. Weitere Stämme sind in der Entwicklung. An der Technischen Universität München arbeiten Forschende an cisgenen Bierhefen, um die Gärung zu optimieren. An der Tianjin-Universität in China sind selbstklonierte Koji-Schimmelpilze entstanden, mit denen sich Sojabohnen besser zu Sauce fermentieren lassen sollen. Und an der Ben-Gurion-Universität in Israel existieren cisgene Mikroalgen, die eine erhöhte Menge der als gesundheitsfördernd geltenden Substanz Astaxanthin bilden. Sie könnten in pulverisierter Form als Nahrungsergänzungsmittel in die Regale gelangen.

Während Getränke- und Lebensmittelhersteller Vitamine und Enzyme, die in Bioreaktoren aus Gentechmikroben isoliert werden, bereits seit längerem einsetzen, gilt in der Branche die Verwendung von Gentechmikroben selbst bisher als ein No-Go – zu gross ist die Angst vor einem Imageverlust. Ob sich mit den neuen Verfahren daran etwas ändert? Mitentscheidend wird die rechtliche Regulierung sein. Für den Industrieverband LABIP, der Konzerne wie Nestlé, Danone, Dupont, Heineken, Unilever und Lallemand vertritt, ist hierzu die Haltung klar. Er plädiert dafür, Genom-Editierung und Cisgenese wie herkömmliche Züchtungsverfahren zu regulieren – und somit auch von einer Kennzeichnungspflicht auszunehmen.

GVO, Nicht-GVO oder ein bisschen GVO – während die Gesellschaft um einen Entscheid ringt, wie sie Cisgenese und Genom-Editierung regulieren will, hat die Forschung längst Verfahren entwickelt, die über das Ändern einzelner Gene hinausgehen. In China haben Forschende jüngst mit einer Variante der CRISPR-Technik eine gänzlich neue Hefeart kreiert. Statt verteilt auf 16 Chromosomen liegen bei ihr die Erbinformationen auf einem einzelnen Chromosom. Im Projekt «Synthetische Hefe 2.0» arbeiten weltweit mehrere Gruppen an einer Hefe, deren komplettes Erbgut künstlich erzeugt ist. An der ETH Zürich wiederum haben Forschende jüngst eine neue Methode präsentiert, mit der sich die Zeit für die Herstellung künstlicher Genome von bisher zehn Jahren auf ein Jahr und die Kosten von bisher rund 40 Millionen Franken auf etwa 100 000 Franken verringern lassen sollen.

Gut möglich, dass in Zukunft synthetisch veränderte Organismen (SVO) auf den Markt kommen und die Gesellschaft darüber entscheiden muss, ob diese SVO wie GVO reguliert sein sollen.

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(Bild: Luca Schenardi)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 104

Die Genschere macht es möglich

Gentechnisch veränderte Nutztiere sind in der Schweiz zurzeit verboten. Weltweit dürften aber bald für verschiedene Nutztiere Zulassungen beantragt werden. In den Pipelines der Forschungsanstalten befindet sich eine Vielzahl von Projekten. Im Dezember 2018 wurde in Argentinien bereits eine schnellwachsende, genomeditierte Linie des Zuchtfisches Tilapia bewilligt. Die Liste der Wunscheigenschaften, die mit der neuen Gentechnik verwirklicht werden soll, ist lang und sehr vielfältig. Die Agrarindustrie lobbyiert weltweit für eine schwache Regulierung, um ihre Produkte schnellstmöglich auf den Markt zu bringen.

Text: Zsofia Hock

Im Gegensatz zu Kulturpflanzen hatten gentechnisch veränderte Tiere bis vor Kurzem praktisch keine Bedeutung. Bis heute gibt es ausser einem Lachs keine mittels klassischer Gentechnik veränderten Tiere auf dem Markt. Das liegt vor allem daran, dass die Anwendung der alten Gentechnik bei Tieren technisch schwierig und fehleranfällig und deshalb nur begrenzt anwendbar ist.

Die Genschere erleichtert den Prozess der gentechnischen Manipulation nun deutlich. Seit ihrer Entdeckung hat sie sich mit einer beispiellosen Schnelligkeit in fast alle Labore verbreitet. Bald dürften Behörden mit einer rasch zunehmenden Zahl von Zulassungsgesuchen für geneditierte Nutztiere (GE-Tiere) konfrontiert sein. Laut einer Studie des Friedrich-Loeffler-Instituts und des Instituts für Nutztiergenetik wird aktuell an über 70 Eigenschaften geforscht. Etwa 10 Nutztierarten stehen dabei im Fokus. Es wird propagiert, die Genom-Editierung mache die Landwirtschaft profitabler, umweltfreundlicher und gesünder. Ethisch unvertretbare Praktiken in der Nutztierhaltung, wie etwa die Tötung männlicher Küken, deren Aufzucht nicht wirtschaftlich ist, sollen damit gelöst werden.

Doch das ist Augenwischerei. Die Motivation, genomeditierte Nutztiere zu kreieren, ist eher bei rein wirtschaftlichen Zielen zu suchen als beim Tierwohl. «Mehr, schneller und billiger» – diese drei Adjektive beschreiben die Ziele der modernen Intensivhaltung bestens. Tiere sollen eine höhere Leistung erbringen, oft über ihre biologischen Grenzen hinaus: mehr Fleisch in möglichst kurzer Zeit, längere Wollhaare oder geringerer Futterverbrauch. Die Folgen der Massenhaltung sollen mit den neuen Techniken abgemildert werden, möglichst viele Tiere sollen auf einer möglichst kleinen Fläche gehalten werden.

All diese Eingriffe zeigen in Richtung Instrumentalisierung. Deren höchste Stufe stellen Versuche dar, bei denen geneditierte Tiere als Organfabrik für Transplantationen oder zur Erforschung menschlicher Krankheiten verwendet werden. Die Zahl der Tierversuche steigt, und es werden immer mehr Arten als Versuchsobjekte verwendet. Schluss mit der Ära der Laborratten und Mäuse – sogar Primaten sind vermehrt von der Genom-Editierung betroffen. So sorgten kürzlich Klonäffchen mit einem absichtlich hervorgerufenen Gendefekt aus China für Schlagzeilen. Gentechniker haben sie zum Studium von Biorhythmusstörungen erschaffen.

Resistenzgene aus Wildtieren sollen Bestände widerstandsfähiger machen

Fokus 104 Forscher
(Illustration: Luca Schenardi)

Ansteckende Tierkrankheiten sind in der Landwirtschaft weit verbreitet. Aktuell wütet europaweit die afrikanische Schweinepest, die für Schweine tödlich endet. Die Tiermedizin kann die Seuche nicht aufhalten. Deshalb greifen Wissenschaftler nun zur Gentechnik, um Rassen zu entwickeln, die resistent gegen die Krankheit sind. Wildlebende afrikanische Warzenschweine sind resistent gegen das Virus. Verantwortlich dafür ist ein bestimmtes Gen. Dieses wurde als Vorlage benutzt, um das entsprechende Gen im Hausschwein umzuschreiben. Im Sommer 2019 soll überprüft werden, ob die so entstandenen Tiere tatsächlich gegen das Virus geschützt sind. Zahlreiche weitere genomeditierte, resistente Nutztiere sollen folgen. Unter anderem wird an Resistenzen gegen das PRRS-Virus, das für die ökonomisch bedeutsamste Schweinekrankheit verantwortlich ist, die Vogelgrippe und die Rindertuberkulose geforscht.

Doch diese Resistenzen dank Gentech schaffen auch Probleme. Schweinepestresistente GE-Tiere könnten als symptomlose Träger der Krankheit die Viren an nicht-modifizierte Artgenossen weitergeben. Dadurch könnte die Ausbreitung der Seuche beschleunigt, anstatt wie geplant gestoppt werden. Davon wären vor allem gentechnikfreie Betriebe stark betroffen. Im Extremfall könnte dies zum Verschwinden der herkömmlichen Rassen führen. Fraglich ist auch, wie lange die künstlich eingebrachten Resistenzgene vor der Krankheit schützen. Denn der Selektionsdruck auf den Erreger erhöht sich. Er wird gezwungen, sich an die genetische Veränderung anzupassen und so die Resistenz zu umgehen. Ein Teufelskreis, der nur den Entwicklern der GE-Tiere einen Vorteil erbringt.

Hornlose GE-Milchmaschinen – mit Gene Drives zum Tierwohl?

Fokus 104 DominoCRISPR/Cas ermöglicht eine bisher unvorstellbare Eingriffstiefe. Das Erbgut kann dank der Genschere an vielen verschiedenen Stellen gleichzeitig verändert werden. Da nur ein Bruchteil der Wechselwirkungen zwischen den Genen geklärt sind, können solche multiplen Eingriffe Nebeneffekte auslösen, die miteinander interagieren und zu einem unkontrollierbaren Dominoeffekt werden. Einmal in die Umwelt freigesetzt, sind diese Änderungen kaum rückholbar. (Illustration: Luca Schenardi)

Hörner sind in der profitorientierten Milchviehhaltung unerwünscht. Denn wenn man möglichst viele Tiere in den Laufstall sperrt, erreicht man einen wirtschaftlichen Vorteil. Enge Platzverhältnisse führen aber zu aggressivem Verhalten. Um Verletzungen zu vermeiden, muss man den Tieren mehr Platz bieten, doch dies mindert den Profit. Günstiger erscheint es daher, die Tiere dem Haltungssystem anzupassen, notfalls auf Kosten des Tierwohls. Heute werden rund 90 Prozent aller Schweizer Kühe mechanisch enthornt. Der Eingriff hinterlässt dauerhafte Schäden: erhöhte Schmerzempfindlichkeit und Einschränkungen bei der Interaktion mit Artgenossen. Tierschutzorganisationen kritisieren dieses Vorgehen zu Recht.

Mithilfe der Gentechnik sollen nun auf schmerzfreie Weise hornlose Kühe geschaffen werden. So liesse sich die Massenhaltung bequem weiter betreiben. Als Vorlage für die Gen-Editierung dient eine natürliche Mutation, dank der einige Fleischrinderrassen keine Hörner tragen. Diese Rassen bringen aber nur eine mässige Milchleistung. Um die ideale Milchkuh zu erschaffen, müssten die beiden Eigenschaften miteinander kombiniert werden. Mittels klassischer Züchtung würde dies lange dauern. Deshalb wird, bisher erst mit Modellen, simuliert, wie man mittels der mutagenen Kettenreaktion (Gene Drive) dieses Ziel verwirklichen könnte. Dieses Gentechnik-Werkzeug kann nämlich die Häufigkeit der Vererbung so verändern, dass die natürliche Vererbung ausser Kraft gesetzt wird und eine neu eingeführte Eigenschaft an alle Nachkommen vererbt wird.

Das Rezept: Man nimmt Zellen einer leistungsstarken Milchkuh und schaltet darin das Gen, das für die Bildung der Hörner verantwortlich ist, mithilfe von Gene Drives aus. Mittels Klonierung werden aus diesen Zellen hornlose Nachwuchstiere erstellt. Diese werden anschliessend mit den besten Tieren der Hochleistungs-Milchkuhrassen gekreuzt. Das eingebaute Gene Drive sorgt dafür, dass immer ausschliesslich hornlose Nachkommen entstehen. Die perfekte Milchkuh wäre damit erschaffen. Nur: Das Tierwohl und die Würde der Kreatur bleiben dabei auf der Strecke. Denn das Horn ist nicht nur ein überflüssiges Anhängsel der Rinder. Kühe sind sehr sozial und brauchen die Hörner, um die strenge Hierarchie in der Herde immer wieder auszuhandeln. Nur bei Platzmangel im Laufstall stellt dies eine Gefahr dar.

Allergenarm und gesund

CRISPR/Cas9 soll auch Lebensmittel tierischer Herkunft gesünder machen. Schweine mit mehr gesunden Fettsäuren sollen den Fleischkonsum fördern. Tiere sollen als Bioreaktoren zur Erzeugung von Arzneimitteln und Medizinprodukten eingesetzt werden, geneditierte Schafe Milch geben, die das schlaffördernde Melatonin enthält, und Schweine menschliches Serumalbumin zur Behandlung von Lebererkrankungen produzieren.

Da tierische Lebensmittel bei vielen Allergien auslösen, arbeiten mehrere Forschungsgruppen daran, die allergisierenden Proteine aus diesen zu entfernen. Etwa aus Hühnereiern, die bei zwei Prozent der Kleinkinder zu Allergien führen. Das ist vor allem deswegen problematisch, weil viele Standardimpfungen in Eiern hergestellt werden. Ausserdem kommen sie neben Lebensmitteln in vielen Kosmetikprodukten vor. Für die meisten Allergien sind 4 von den rund 40 Proteinen des Eiweisses verantwortlich. Gentechniker der CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation, Australien) haben das gefährlichste dieser Proteine ins Visier genommen. In bakteriellen Systemen haben sie das Gen, das für dessen Produktion verantwortlich ist, mit CRISPR/Cas9 so verändern können, dass das Protein keine allergischen Reaktionen mehr verursachte. Schon träumen die Forscher von geneditierten Hühnern, die allergenarme Eier legen. Nach dem gleichen Prinzip sollen auch Kühe und Schafe geschaffen werden, deren Milch frei ist vom allergisierenden Milcheiweiss Beta-Laktoglobulin.

Tierische Muskelprotze für ein Riesensteak

Fokus 104 SteakDurch Gentechnik lassen sich aussergewöhnlich muskulöse Nutztiere für die Fleischproduktion erschaffen. Damit hoffen die Hersteller vor allem auf mehr Gewinn. Das Tierwohl wird aber bei solchen extremen Züchtungszielen vollständig missachtet. In der Schweiz sind überzüchtete Rassen, wie der Blauweisse Belgier, der von Natur aus eine extreme Fleischveranlagung besitzt, bereits verboten. (Illustration: Luca Schenardi)

Eine neue Schweinerasse mit einem hohen Anteil an besonders geschätzten Fleisch stücken – dank Genom-Editierung soll dieser Traum jedes Züchters bald in Erfüllung gehen. Wissenschaftler lassen sich dabei von der Natur inspirieren. Denn gewisse Tierrassen sind von Natur aus aussergewöhnlich muskulös. Das Geheimnis dieser «Doppellender» ist ein Gendefekt, welcher zu einer reduzierten Produktion von Myostatin führt, was sie wie Bodybuilder aussehen lässt. Myostatin ist ein Protein, das das Muskelwachstum bremst. Wird das Gen, das für die Produktion von Myostatin verantwortlich ist, mittels CRISPR/Cas so verändert, dass weniger davon gebildet wird, kann dieser Zustand nachgeahmt werden. Dazu soll lediglich ein einziges Basenpaar des entsprechenden Gens ausgetauscht werden.

Da die Genschere aber oft nicht nur an der gewünschten Stelle schneidet, können unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Solche Nichtzieleffekte verursachen gesundheitliche Beschwerden. Von der Entwicklung zusätzlicher Rippen über abnormal vergrösserte Zungen bis hin zu Nachkommen, die zu gross für eine natürliche Geburt sind, um nur einige zu nennen.

Diese Veränderungen beweisen, dass die Wirkungsweise der Gene und die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen ihnen nur ansatzweise verstanden werden. Davor warnt sogar Se-Jin Lee, einer der Entdecker des Myostatin-Gens. Ungehemmtes Muskelwachstum ist ein Merkmal sogenannter Qualzucht und daher unethisch. Diese Tiere leiden von Geburt an, das Skelett und die inneren Organe sind von der übertrieben grossen Muskelmasse überfordert. Auch wenn dieses Fleisch an sich unbedenklich sein sollte, ist es fraglich, ob man sich ein solches Schnitzel noch gerne schmecken lässt. Wenn die hohe Leistung die Tiere bereits heute gesundheitlich überfordert, darf die Züchtung nicht noch höhere Ziele setzen. Denn Tiere sind unsere Mitgeschöpfe, nicht Produkte, die der Mensch nach seinen eigenen Wunschvorstellungen verändern darf. Zwar bringen die auf das Extremste gesteigerten Leistungen auf der einer Seite Gewinne, die Verluste andererseits – weniger widerstandsfähige Tiere, hohe Todesraten – zeigen, dass ein solcher Ansatz auch ökonomisch nur kurzfristig wirken kann.

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(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 106

UN-Bericht zu weltweitem Biodiversitätsverlust

Zuerst die schlechte Nachricht: Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen veröffentlicht Besorgniserregendes zum Thema Biodiversität: Das Artensterben kann nicht mehr verneint werden. Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die zunehmende Überbauung der Landschaften und der weiter wachsende Konsum belasten die Erde und damit auch die Biodiversität. In einem 1500 Seiten starken Dokument wurden weltweit Daten aus verschiedensten Quellen gesammelt und zusammengefasst. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Für Gegenmassnahmen ist es noch nicht zu spät.

Text: Kathrin Graffe

Speziell das Insektensterben ist ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema, befeuert von persönlichen Beobachtungen wie weniger Insekten auf der Windschutz­scheibe, weniger Mücken beim Apéro oder Wespen am Esstisch. Ist es nun ein Gerücht, oder ist was dran an diesen persönlichen Beobachtungen oder Meldun­gen in der Presse? Seit Mai gibt es nun handfeste Fakten zum Thema Artensterben und Biodiversität.

Der «Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services», der vom Weltbiodiversitätsrat IPBES (Inter­governmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) veröffentlicht wurde, stellt Forschungsergebnisse zumVerlust der Biodiversität in Afrika, Amerika, Europa, Zentralasien und Asien Pazifik zusammen. Das Ziel war es, ein möglichst globales Bild aus verschiedenen Perspekti­ven zu schaffen und eine Grundlage zu schaffen, um Probleme gemeinsam inter­national angehen zu können. Lokale Projekte und Ideen sind sinnvoll und wichtig, aber eine Vernetzung ist unerlässlich und erhöht die Wirksamkeit von Massnahmen. «Politik, Anstrengungen und Aktionen – auf allen Ebenen – werden jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf dem besten Wissen und den besten Erkenntnissen basieren. Das bietet das IPBES Global Assessment», ist der IPBES­ Vorsitzende Robert Watson überzeugt. 2012 gegründet, ist IPBES ist ein relativ junges UN-­Organ, ein zwischenstaatliches Gremium, das helfen soll, umweltpolitische Entscheidungen nach bestem Stand des Wissens zu treffen. IPBES hat bereits mehrere Veröffentlichun­gen zu regional und thematisch beschränkten Themen gemacht, zum Beispiel auch zum Thema Bestäuber und Nahrungsmittel­produktion, und legt nun zum ersten Mal einen globalen Bericht vor. 150 Wissen­schaftler aus 50 Ländern waren beteiligt und zwar, das ist neu, nicht nur Natur­wissenschaftler, sondern auch ein grosser Teil Sozialwissenschaftler und Praktiker. So wurde auch indigenes und lokales Wissen berücksichtigt.

Artensterben in Zahlen

Fokus 106 Felder
(Bild: Shutterstock)

Die Hauptaussage des Assessments: Das Artensterben, der Rückgang der Biodi­versität, kann nicht mehr verneint werden. Die Schnelligkeit, mit der Arten ausster­ben, liegt mindestens 10­mal höher als im Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Eine Million der derzeit existierenden acht Millionen Tier­- und Pflanzenarten drohen auszusterben, viele in den kom­menden Jahrzehnten. Dabei trifft es beson­ders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Nicht viel besser geht es den Korallen, Haien und Meeressäugern mit etwa 30 Prozent. Die Zahl der bedrohten Insektenarten liegt bei etwa 10 Prozent. Waldflächen sind enorm zurück­gegangen. In 13 Jahren (2000 bis 2013) nahm die Waldfläche international um 7 Prozent ab. Zwischen 1980 und 2000 wurden in den Tropen 100 Millionen Hektar in Landwirtschaftsfläche umgewandelt, die Hälfte davon war vorher Wald. Das sind die Ergebnisse. Man fragt sich: Warum ist es so weit gekommen? Und noch wichtiger: Haben wir noch eine Chance, das Ruder herumzureissen? Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die immer weiter wachsende Bevölkerung und der zunehmende Konsum belasten die Erde und damit auch die Bio­diversität. Konkret zurückzuführen ist dies auf den Verlust von Lebensraum bezie­hungsweise die Landnutzungsänderung durch die zunehmende Überbauung der Landschaften, die landwirtschaftliche Nutzung, den Abbau natürlicher Ressourcen (Jagd und Fischerei), Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten.

Intensive Landwirtschaft ist die Hauptursache

Fokus 106 Waldrodung
Der grösste Teil der Erdoberfläche ist in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden. Die Fläche der angebauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht. Man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb grosse Mengen an Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden. (Bild: Shutterstock)

Der Verlust von Lebensraum steht dabei in Bezug auf die Auswirkungen an erster Stelle. 75 Prozent der Erdoberfläche sind in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden und die Fläche der ange­bauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht, so steht es im Bericht. Das Fazit von Prof. Dr. Ralf Seppelt – Leitautor im Kapitel «Szenarien und Wege in eine nach­haltige Zukunft»: «Neben dem Klimawandel spielt die Ausbreitung invasiver Arten in Gebieten, in denen diese normalerweise nicht vorkommen, eine Rolle. Den grössten Einfluss hat eine intensive Landwirtschaft und die damit verbundenen Emissionen: Mehr Fläche wird für Weidewirtschaft und Ackerbau genutzt. Und man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb man massiv Dünge­- und Schädlingsbekämp­fungsmittel nutzt.» Der vorherrschende Anbau in Monokulturen – nur etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird derzeit als kleinräumige Fläche genutzt, wo besonders häufig Gentechsaat­gut kultiviert wird, impliziert an sich schon weniger Diversität. Entgegen der Versprechen der klassischen Gentechnik brauchen diese Kulturen nicht weniger, sondern mehr Dünger und Pestizide und bieten eine einseitige Nahrungsgrundlage für wenige Arten, wie Erhebungen, bei­spielsweise auch des US-­Landwirtschafts­ministeriums, zeigen.

Agrarökologie statt Biotechnologie

Fokus 106 Salamander
Die Schnelligkeit, mit der Arten aussterben, hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Bei den bedrohten Arten trifft es besonders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Auch rund 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind akut gefährdet. (Bild: Shutterstock)

Jetzt kommt die gute Nachricht: Laut der IPBES-­Studie haben wir eine Chance, den Zerfall der Biodiversität zu stoppen. Die Botschaft ist allerdings, dass ein radikales Umdenken notwendig ist, um die prog­nostizierte Entwicklung zu verhindern. So halten es die Wissenschaftler beispielsweise für essentiell, das Bewusstsein, dass die Natur durch unseren Konsum belastet wird, zu stärken, den Naturschutz und lokale nachhaltige Wirtschaft zu fördern und Anreize und aber auch Sanktionen zu schaffen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren. In der Landwirtschaft plädieren die Autoren für ökologische Anbaumethoden und eine Landschaftsplanung, die Nahrungssicherheit, Sicherung des Lebens­unterhalts und Arterhaltung berücksichtigt. Josef Settele vom Helmholtz­-Zentrum für Umweltforschung, sagt dazu konkret in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung», er sei nicht für ein generelles Ver­bot von Pestiziden, jedoch sei er der Meinung, dass «der Einsatz dieser Mittel deutlich zurückgefahren werden könnte, ohne dass die Produktion darunter leidet». Der Bericht fordert also unter anderem eine nachhaltigere Landwirtschaft ohne Pestizide, die vor allem Insekten schaden. Weniger Insekten bedeutet weniger Bestäuber mit den bekannten dramatischen Folgen für die Landwirtschaft, weniger Nahrung für insektenfressende Tiere und natürlich schädliche Auswirkungen auf das Ökosystem als Ganzes.

Das hat direkte Auswirkungen auf die Biodiversität. Die FAO unterstützt diese Haltung in ihrem neuen «10-­Punkte­-Pro­gramm für die globale Landwirtschaft der Zukunft»: Demnach sind diversifizierte agroökologische Systeme widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten oder extremen Wetterbedingungen. Nach dem Hurricane Mitch 1998 beispielsweise konnten mess­bare Unterschiede in Bezug auf Erosion und Ertrag beim Vergleich verschiedener Anbaumethoden ermittelt werden. Auch sehen sie Regierungen in der Pflicht, Land­wirtschaftsbetriebe beim Umbau zu nachhaltiger Landwirtschaft zu unterstützen und dafür Anreize zu schaffen – lokal, national und global.

Synthetische Biologie wird zum Umweltrisiko

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die Studie «Frontiers 2018/19» der UN. Darin wird die synthetische Biologie als eine von fünf Hauptbedrohungen für die Umwelt gewertet, besonders die Ver­wendung von Gene Drives: «Die Freisetzung von genmanipulierten Organismen, die zufällig oder absichtlich in die Umwelt gelangen, hat berechtigte Besorgnis betref­fend Biosicherheit und unvorhersehbaren Konsequenzen hervorgerufen.» Für die Sorge wegen möglicher artenübergreifen­der Kreuzkontaminationen, unbekannter ökologischer Wechselwirkungen und Effekte auf Ökosysteme gibt es noch keine Lösung. Ähnlich kritisch äussert sich der Bericht zur Möglichkeit, mit Hilfe von Klonen und Rückzüchtungen bereits aus­gestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken. Bis jetzt waren solche Projekte noch erfolglos. Sollte dies aber einst gelingen, ist nicht vorauszusehen, wie ein vormals ausgestorbenes Tier auf die jetzige Umwelt reagieren wird, unter anderem in Bezug auf Krankheiten. In solchen techno­logischen Ansätzen scheint also keine Lösung für das Artensterben zu schlummern.

All dies erweckt den Eindruck, dass alle erkannt haben, dass die Lage ernst ist. Man scheint zu wissen, was zu tun ist und was nicht. Ob auch Taten folgen, wird sich weisen. Anstatt auf diese zu warten, kön­nen wir schon mal bei uns selbst anfangen und uns überlegen, welchen Beitrag wir selbst leisten können. Zum Beispiel die Unterstützung der Doppelinitiative Biodi­versität und Landwirtschaft. Sie wurde kürzlich lanciert und zielt auf den Schutz der Biodiversität.


Biodiversität kurz erklärt:
Die Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Gene, die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume. Die drei Ebenen der Biodiversität sind eng und dynamisch miteinander verknüpft. Die Arten brauchen zum Überleben geeignete Lebensräume. Innerhalb der Arten ist eine ausreichende genetische Variabilität unerlässlich. Die Vielfalt der Wechselbeziehungen innerhalb und zwischen den drei Ebenen wird auch als funktionale Biodiversität bezeichnet.
Quelle: naturwissenschaften.ch


Biodiversitäts- und Landschaftsinitiative:
Politik und Behörden versagen beim Schutz von Biodiversität und Landschaft. So kann es nicht wei-tergehen! Mit zwei Volksinitiativen geben die Umweltverbände jetzt Gegensteuer. Die Sammlung läuft.
Die Biodiversitätsinitiative fordert mehr Fläche und mehr Geld für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und sorgt dafür, dass Natur, Landschaft und das baukulturelle Erbe stärker be-rücksichtigt werden.
Die Landschaftsinitiative stellt dieTrennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet sicher. Die Zahl undder Flächenverbrauch der Gebäudeausserhalb von Bauzonen sollen künftig nicht mehr zunehmen.
Mehr dazu: biodiversitaet-landschaft.ch


Titelbild107 
Amaranthus caudatus ist in Südamerika eine wichtige Kulturpflanze (Bild: Fotolia)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 107

Das neuste Werkzeug der Synthetischen Biologie

Die noch junge Biotechnologie des Gene Drive ist aktuell in aller Munde. Von ihren Entwicklern wird sie als Wundermittel angepriesen, das für verschiedene Zwecke eingesetzt werden kann. Ihr meistpropagierter Anwendungsbereich liegt in der Bekämpfung von Insekten, die Krankheiten wie Malaria übertragen. Aber auch die Anwendungen im Naturschutz werden gerne hervorgehoben, um der Technologie und der Gentechnik im Allgemeinen mehr Akzeptanz zu verschaffen. Was dabei verschwiegen wird: Die lukrativsten Geschäfte mit der Technologie lassen sich vor allem im landwirtschaftlichen Bereich machen. Besonders besorgniserregend ist, dass sie auch als schlagkräftige Biowaffe eingesetzt werden könnte.

Text: Zsofia Hock, SAG

Gene Drives sind ein neues Werkzeug der Synthetischen Biologie. Sie nutzen die Genschere CRISPR/Cas, um in ungewöhnlich kurzer Zeit neue Gene im Erbgut freilebender Populationen zu verankern. Der Gene-Drive-Mechanismus setzt die Mendelschen Regeln der Vererbung ausser Kraft und sorgt dafür, dass die neue Genvariante aus dem Labor bei allen Nachkommen einkopiert wird.

Einige wenige Gene-Drive-Organismen reichen aus, um eine Kettenreaktion auszulösen, an deren Ende schon nach wenigen Generationen alle Nachkommen die vorgegebene Genvariante tragen.

Während bei anderen gentechnischen Veränderungen vorsorglich darauf geachtet wird, dass sie sich nicht in der Natur ausbreiten könnten, sind Gene Drives dafür konzipiert, sich in der freien Wildbahn zu verbreiten. Sie seien schnell, effektiv, und können im Extremfall ganze Mückenpopulationen ausrotten, schwärmen die Entwickler. Doch genau wegen dieser beschleunigten Weitergabe von Genen sind Gene Drives die bislang gefährlichste Anwendung der Synthetischen Biologie in der Umwelt. Denn einmal in die Natur freigesetzt, können sie kaum kontrolliert oder rückgängig gemacht werden. Zudem besteht die Gefahr, dass diese mutagene Kettenreaktion auf andere Arten oder Populationen überspringt, was eine erhebliche Gefahr für die Biodiversität darstellt. Auch vor Grenzen machen Gene Drives nichthalt. Die ökologischen Folgen solcher Freisetzungen sind wegen der komplexen Natur der Ökosysteme unabsehbar.

Wegen dieser Risiken sind Gene Drives auch in Bezug auf ethische Fragestellungen mit grossen Herausforderungen verknüpft. Für eine Risikobeurteilung fehlen zudem die wissenschaftlichen Grundlagen. Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) sowie internationale Wissenschaftler empfehlen deshalb, die Technologie mit grösster Vorsicht zu behandeln. Solange keine strenge Regulierung vorhanden ist, fordern nationale und internationale Organisationen sogar ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drives.

Gene Drives als Naturschutzmassnahme

Fokus 107 Honigsauger
Auf Hawaii sollen Vogelarten, die vom Aussterben bedroht sind, mittels Gene Drives gerettet werden. Auch der Rote Honigsauger, von den Einheimischen I’iwi genannt, gilt als gefährdet. (Bild: Shutterstock)

Gene Drives könnten als Wunderwaffe gegen den Artenschwund funktionieren, propagieren Biotechnologen. So soll die Technologie bedrohte Tiere vor der Verdrängung durch eingeschleppte Arten schützen. Besonders betroffen davon sind Inselstaaten. Dort wird seit längerem versucht, invasive Eindringlinge mittels Fallen oder Gifteinsatz auszumerzen. Diese Ansätze werden jedoch wegen ihrer schädlichen Auswirkungen auf andere Tiere stark kritisiert. Gene Drives sollen effektiver und gezielter, und daher auch schonender wir ken. Bereits sind mehrere Forschungsprojekte mit Gene-Drive-Mäusen und -Ratten im Gang. Auch Wildkatzen, Kaninchen und Füchse in Australien sowie Hermelin und Fuchskusu in Neuseeland sollen so ausgerottet werden.

Gene Drives in Säugetieren einzusetzen, ist technisch jedoch viel schwieriger als in Insekten. Die Eindämmung der Vogelmalaria auf Hawaii, die von einer eingeschleppten Mückenart übertragen wird, scheint einfacher realisierbar. Die Krankheit hat zum Aussterben von beinahe 80 Prozent der ursprünglich auf der Inselkette heimischen Vogelarten geführt und auch die verbleibenden Spezies sind gefährdet.

Andere Ansätze wollen Gene Drives dazueinsetzen, vom Aussterben bedrohte Arten widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten zu machen. Die vermutlich extremste Anwendung der Technologie strebt danach, bereits ausgestorbene Arten wieder aufleben zu lassen. Auch wenn dies wahrscheinlich kaum realisierbar ist, weil die Technologie nur bei Arten mit kurzer Generationsdauer funktioniert, werfen diese Bemühungen eine ganze Reihe von ethischen Fragen auf. Ausserdem, wenn eine Art ausgerottet und wiederbelebt werden kann, nimmt die Sorge, eine Spezies in der freien Wildbahn zu erhalten, wahrscheinlich ab.


Bedrohte Arten retten
Fokus 107 Salamander
Gene Drives sollen den auch in der Schweiz heimischen Feuersalamander, dessen Populationen ein aus Asien eingeschleppter, tödlicher Hautpilz dezimiert, retten. Dazu soll ein Gen in den Populationen verbreitet werden, welches immun gegen den Pilz macht. Die meisten Naturschutzprobleme sind hierzulande jedoch anderer Art und schon gar nicht mit Inseln verbunden. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die Technik in der Schweiz in absehbarer Zeit angewendet wird.


Gene Drives als Biowaffe

Gene Drives eignen sich nicht nur für friedliche Zwecke. Die potente Technologie kann leicht in eine Biowaffe umgewandelt werden. Sie ist grossflächig einsetzbar und könnte leicht und unumkehrbar unter die Kontrolle der mächtigsten militärischen Akteure geraten. Entscheide über Entwicklung, Nutzung und Regulierung von Gene Drives drohen nicht nur von kommerziellen Interessen, sondern auch von geo- und sicherheitspolitischen Überlegungen bestimmt zu werden.

Als Biowaffe können Gene Drives dazu beitragen, Pathogene effektiver auf Mensch und Tier zu übertragen oder die Nahrungsgrundlagen massiv zu schädigen, indem sie Insektizidresistenzen bei Pflanzenschädlingen erzeugen oder Nützlinge gezielt schwächen und gar ausrotten. Mit Gene-Drive-Insekten können die gesamten Ernten einer gegnerischen Macht vernichtet werden. Besonders gefährlich ist, dass die als Transportmittel für das eingebaute Gene-Drive-Programm benutzten Insekten sich schnell vermehren und räumlich kaum begrenzt werden können. Einmal freigelassen, wären sie möglicherweise nicht mehr aufzuhalten.

Laut US-Verteidigungsministerium dienen die Programme auch dazu, die «nationale Sicherheit gegen Angriffe zu verteidigen». Tatsächlich gibt es aus militärischer Sicht nachvollziehbare Motive für Grossmächte, die Gene-Drive-Technologie so schnell wie möglich zu entwickeln und zu perfektionieren. Denn es sei wichtig, potentiell feindlichen Konkurrenten einen Schritt voraus zu sein, um einen feindlichen Gene-Drive-Angriff abzuwehren. Daraus entsteht ein neues Wettrüsten – eine beängstigende Perspektive.


Insekten als Biowaffe
Fokus 107 Militär

Die Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums DARPA finanziert mit insgesamt 92 Millionen Dollar zwei mehrjährige Programme zur Entwicklung von Gene-Drive-Organismen. Allein diese Tatsache sollte stutzig machen, auch wenn das Ziel der Programme «Safe Genes» und «Insect Allies» (verbündete Insekten) ein friedliches sein soll: bereits auf den Äckern wachsende Nutzpflanzen mithilfe von gentechnisch manipulierten Viren grossflächig zu verändern. Als Transportmittel für das Virus dienen Insekten wie Blattläuse oder Grashüpfer. Saugen diese an der Pflanze, wird das GV-Virus übertragen und die Pflanzen im Freiland können gegen verschiedene Stressfaktoren, wie zum Beispiel eine drohende Trockenheitsperiode, gestählt oder eben durch eine unvorteilhafte künstliche Mutation vernichtet werden.


Krankheitsbekämpfung mit Gene Drives

Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, bei denen die Erreger durch Vektoren wie z. B. Mücken oder Zecken übertragen werden, steht an oberster Stelle der Gene-Drive-Forschung. Aktuell erfahren Vorhaben zur Bekämpfung von Malaria die grösste Aufmerksamkeit. Ähnliche Projekte laufen jedoch zur Eindämmung von Viruserkrankungen wie Chikungunya-, Zika-, Dengue- und Westnil-Fieber, die von der Tigermücke übertragen werden. Auch bei der von Zecken übertragenen Lyme-Borreliose sollen Gene Drives Abhilfe schaffen.

Mittels Gene Drives soll einerseits die Fortpflanzung von krankheitsübertragenden Organismen gestoppt werden, was nach wenigen Generationen zum Zusammenbruch der Populationen führen könnte. Andererseits könnte die mutagene Kettenreaktion auch die Fähigkeit dieser Insekten, Krankheiten zu übertragen, verringern. So sollen etwa Stechmücken der Art Anopheles stephensi gegen die Malaria-Erreger immun gemacht werden und die für die Immunität verantwortlichen Gene in der Population mit Gene Drives beschleunigt verbreitet werden.

Da diese Seuchen jährlich Hunderttausende von Menschenleben fordern, ist die intensive Suche nach Lösungen verständlich. Im Labor wurden dabei bereits erste Erfolge erzielt. Mit den ersten Anträgen für Freisetzungsversuche ist in Kürze zu rechnen. Als Testgebiet werden afrikanische Dörfer, z. B. in Burkina Faso ins Auge gefasst. Doch weil die lokale Bevölkerung nicht über die Versuche und die damit verknüpften Risiken aufgeklärt wurde, stossen solche Versuche vor Ort auf erhebliche Bedenken.

Ethiker begegnen der Frage, ob die Bekämpfung von Infektionskrankheiten die gezielte Ausrottung ganzer Arten recht fertigt, mit Zurückhaltung. Denn die für uns Menschen lästigen Mücken spielen in der Natur eine wichtige Rolle. Sie sind als Nahrungsquelle, Bestäuber, im Nährstoff-Recycling und sogar als Räuber nützlich. Ihr Verschwinden könnte sich also erheblich auf ein Ökosystem auswirken.

Für eine effektive Malariabekämpfung wäre es sinnvoller, sozioökonomische Faktoren als eigentliche Ursachen der zahlreichen Erkrankungen anzugehen. Unbedenklichere Lösungen sowie viel lokales Wissen zum Umgang mit der Krankheit sind vorhanden und sollten dringend gefördert werden. Doch dies wird von den technologieaffinen Kreisen ausgeblendet. Ein Grund: Die Malariabekämpfung genauso wie die Verwendung von Gene Drives für Naturschutzzwecke, dient als Mittel, der umstrittenen Gentechnologie mehr Akzeptanz zu verschaffen, um sie später in der Landwirtschaft einsetzen zu können. Denn die Agrarindustrie sieht in ihr eine lukrative Möglichkeit der Schädlingsbekämpfung.


GV-Mücken
Fokus 107 Mücke

Dass Feldversuche mit GV-Mücken nicht ungefährlich sind, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Brasilien. Dort wurden jahrelang GV-Mücken freigesetzt, um lokale Mückenpopulationen zu dezimieren. Theoretisch hätte die gentechnische Veränderung dafür sorgen sollen, dass sämtliche Nachkommen von Weibchen, die sich mit den GV-Männchen paaren, sterben. Doch ein Teil der Nachkommen überlebte. Nun breitet sich diegen technische Veränderung frei aus.


Aussicht auf Profit in der Landwirtschaft

Dieses Potential bei den landwirtschaftlichen Anwendungen zieht zudem finanzstarke Investoren an, die darin ein äusserst profitables neues Investitionsfeld sehen. Denn die Agrarmultis hoffen, damit chemische Stoffe als Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel zu ergänzen oder gar zu ersetzen.

Auch in diesem Bereich sind Versuche mit Insekten am weitesten fortgeschritten. Die Dezimierung von Insektenschädlingen mittels Gene Drives soll die Kosten für Pestizide sowie verlorene Ernten reduzieren. Als Zielscheibe dienen die häufigsten Übeltäter wie Fruchtfliegen, Heuschrecken und pflanzensaugende Käferarten. Am weitesten fortgeschritten sind die Forschungsprojekte zur Bekämpfung der Kirschessigfliege (Drosophila suzukii), die vor allem Beeren und Steinobst befällt und damit grossen Schaden verursacht.

Theoretisch könnten aber eingebaute Gene Drives auch Populationen von Säugetieren, die die Lagerung von Agrarprodukten gefährden, dezimieren. Ausserdem wird auch überlegt, invasive Vögel, wurzelschädigende Fadenwurmarten oder pathogene Pilze mit dieser Biotechnologie zu bekämpfen.

Sogenannte Superunkräuter, die mittlerweile nicht mehr auf die meistverkauften Herbizide reagieren, machen den Agrar konzernen immer mehr zu schaffen. Mithilfe von Gene Drives soll ihre Resistenz wieder gebrochen werden, damit sie weiterhin mit den bestehenden Herbiziden bekämpft werden können. Somit müssten die Konzerne nicht auf den Gewinn aus dem Verkauf dieser Mittel verzichten. Ein Szenario, welches das Monopol von wenigen grossen Agrarkonzernen deutlich stärken würde. Eine Patentanmeldung der Harvard Univer sity listet über 50 Unkräuter und fast 200 Herbizide auf, bei denen die Technologie eingesetzt werden könnte. Ob Pflanzen über haupt je mit einem Gene Drive ausgestattet werden können, ist zum Glück fraglich. Denn Pflanzen benutzen einen besonders fehleranfälligen Reparaturmechanismus, um Brüche der DNA, welche häufig zu Mutationen führen, zu korrigieren. Diese verhindern, dass das Gene-Drive-Konstrukt funktioniert.


Unkräuter bekämpfen
Fokus 107 Pflanze

Die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften (NAS) prüft die Bekämpfung des herbizidresistenten Amaranthus palmeri mit einem eingebauten Gene-Drive-System. Mit Gentechnik soll das Superunkraut wieder empfindlich auf das meistversprühte Herbizid Glyphosat gemacht werden. Bei einer solchen Anwendung in der Natur besteht aber die Gefahr, dass das Gene-Drive-Konstrukt auf verwandte Amarantarten überspringen könnte, die in Südamerika als wichtige Nahrungspflanzen (siehe Titelbild) weit verbreitet sind. Eine Kontamination mit dem Gene Drive könnte deren Ertrag empfindlich schmälern. Dank ihrer wertvollen Eigenschaften könnte zudem auch die als Unkraut bekämpfte Art für die menschliche Ernährung oder für die Züchtung von Interesse sein.


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Eine Dürreperiode sorgte 2018 in Kenia für hohen Ertragseinbussen. (Bild: Cantor/Greenpeace)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 108

Herausforderungen der zukünftigen Landwirtschaft

Man spricht darüber, und das ist gut so. Die Klimaveränderung und was damit zusammenhängt: Hoher Ausstoss von Treibhausgasen, Wetterextreme, Hunger und Lebensmittelverschwendung. Nun möchten auch die Gentechnikbefürworter die erhöhte Aufmerksamkeit für sich nutzen. Sie propagieren, die Agrogentechnik biete Lösungsansätze. Doch was kann die Gentechnik in Bezug auf die heutigen Probleme und die möglichen Herausforderungen, die auf uns zukommen, tatsächlich für uns tun?

Text: Kathrin Graffe

Die Landwirtschaft steht vor grossen Herausforderungen. Durch den Klimawandel werden sie noch verstärkt, denn die Gegebenheiten für den Ackerbau werden zukünftig unkalkulierbaren Veränderungen unterworfen sein. Kommt hinzu, dass die Anzahl der Erdenbewohner weiterhin steigen wird. Hier versucht sich die Gentechindustrie als Helferin zu positionieren. Als Lösungen präsentiert sie die Entwicklung von Saatgut, das an trockene, sehr feuchte oder salzige Böden speziell angepasst sei oder höhere Erträge bringen soll.

Haben diese Vorhaben wirklich Aussicht auf Erfolg? Und ist die Steigerung des Ertrags überhaupt ein Ansatz zur Lösung des Hungerproblems? Dass so viele Menschen keinen Zugang zu ausreichend Nahrung haben und jeden Tag hungern müssen, ist nicht darin begründet, dass wir zu wenig Nahrung produzieren. Es wäre genug für alle da, aber es fehlt der Zugang zu Nahrung oder die Gelegenheit, diese anzubauen. Hans Herren (Pionier der biologischen Schädlingsbekämpfung, Mitautor des Weltagrarberichts und Gründer von Biovision) bringt es auf den Punkt: Damit in Entwicklungsländern mehr produziert werde, brauche es keine Gentechnik, sondern die Vermittlung von mehr und besseren Kenntnissen für die Bäuerinnen und Bauern. Gemäss der Welthungerhilfe sind ausserdem Kriege, Naturkatastrophen und politische Verhältnisse dafür verantwortlich, dass 10 Prozent der Weltbevölkerung ein ausreichender Zugang zu Nahrung fehlt. Dass auch in den Industrieländern Menschen hungern (zum Beispiel 2017 in den USA jeder Sechste), zeigt besonders klar, dass es sich zumindest teilweise um ein Verteilungsproblem handeln muss.

Ausserdem ist unser Ernährungssystem, so wie wir es derzeit pflegen, sehr ineffizient. Laut einer FAO-Studie wird ein Drittel aller Lebensmittel aus verschiedenen Gründen entsorgt. Allein in der EU landen 89 Millionen Tonnen im Abfall. Von diesen gehen 42 Prozent auf das Konto privater Haushalte. In der Reduktion von Food Waste und der Verbesserung des Zugangs zu Nahrung für alle liegt enormes Potenzial. Zudem würde ein geringerer Verzehr von Fleisch und Milchprodukten nicht nur zu einem tieferen Treibhausgasausstoss, sondern auch zur Ressourcenschonung beitragen. Für die Produktion eines Rindssteaks beispielsweise braucht es nach Schätzung von Vier Pfoten 160 Mal mehr Land-, Wasser- und Brennstoffressourcen als für eine vegetarische Speise. Weltweit werden auf 33 Prozent der Ackerfläche Futtermittel für Tiere produziert. Würde man die Felder zum Anbau von Nahrungs- statt Futterpflanzen nutzen, könnte man mehr Nahrung pro Quadratmeter produzieren.

Gentechsaatgut
wird bisher grösstenteils für Futterpflanzen und Baumwolle angebaut. Eine Ertragssteigerung bei diesen Kulturen macht folglich niemanden satt. Auswertungen der Erhebungen des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums zeigen zudem, dass die versprochenen höheren Erträge bisher ausgeblieben sind. In den USA ist der Ertrag generell geringer als in Europa. «Die USA mit Ihrem grossen Anteil an GVO-Grundnahrungsmitteln liegt gegenüber Europa in Bezug auf Nachhaltigkeit und Produktivität zurück.» (John Fagan et al. GVO – Mythen und Tatsachen, 2019) Auch Doug Gurian-Sherman, ehemaliger Biotechnologiebera-ter des EPA (US-Umweltschutzbehörde) und Senior Wissenschaftler der Union of Concerned Scientists, bestätigt die Tatsache, dass «kommerzielle Gentechfeldfrüchte bisher keinen [...] Erfolg in Bezug auf die Steigerung der Ernte von irgendeinem Produkt gezeigt haben. Dagegen war traditionelle Züchtung äusserst erfolgreich [...]».

Dies lässt sich einfach erklären, denn Gentechpflanzen wurden zum grössten Teil auf Herbizidtoleranz und die Produktion von Insektiziden und nicht auf einen gesteigerten Ertrag getrimmt (GVO – Mythen und Tatsachen, 2019). Der Grund dafür liegt darin, dass diese Eigenschaften lukrativ sind, da die Agrarindustrie Folgeprodukte wie zum Beispiel Herbizide mitverkaufen kann. Kommt hinzu, dass sie einfacher herzustellen sind als komplexere Eigenschaften, wie man in der Studie von H. Moldenhauer et al. Zukunft oder Zeitbombe nachlesen kann: «Eigenschaften wie Ertrag, Trocken- oder Salzresistenz sind polygene Merkmale, d.h. sie beruhen auf mehreren Genen, und sind nicht durch einfache Veränderungen wie eine Punktmutation zu erreichen.» Grundsätzlich stellt sich die Frage: Braucht es Gentechnologie zur Produktion unserer Lebensmittel und gibt es überhaupt einen Markt für GV-Produkte? Auch neuste Umfragen belegen, dass die Mehrzahl der Konsumierenden – besonders in Europa – gerne auf Gentech im Essen verzichten würde. Labels, die gentechnikfreie Lebensmittel ausloben, verzeichnen hohe Wachstumsraten – auch in Nordamerika. Im Gegensatz dazu verzeichnete die weltweite Anbaufläche von Gentechnikpflanzen 2018 kaum Zuwachs.

Pestizidintensiver Apfelanbau

BrazilNachhaltige Anbaumethoden sind erfolgreich, da sie auf lokalem Wissen basieren und Felder kleinräumig mit regionalem Saatgut bewirtschaften. (Bild: Cantor/Greenpeace)

«Die Versprechen der Gentechnik für den Obstanbau führen ins Leere.» Das sagt einer, der sich auskennt. Hans-Joachim Bannier ist Pomologe (Obstbaukundler), Buchautor und Mitautor der Studie «Zukunft oder Zeitbombe? Designerpflanzen als Allheilmittel sind nicht die Lösung!». Er beschreibt, wie sich die heute gängigen Sorten entwickelt haben. Bereits in den Dreissigerjahren hat man im Obstanbau vor allem auf die ertragreichen Sorten gesetzt und dabei nicht beachtet, wie anfällig diese Sorten für Krankheiten sind (z.B. Golden Delicious, Cox Orange, Jonathan, McIntosh und Red Delicious). Als immer mehr Äpfel vom Apfelschorf und anderen Krankheiten befallen wurden, was grosse wirtschaftliche Schäden anrichtete, begann man die Apfelplantagen mit Pestiziden zu behandeln. Später kreuzte man diesen ertragreichen und beliebten Sorten, die aber nicht sehr robust sind, ein monogenes Resistenzgen ein. Diese einfache Schorfresistenz erwies sich als nicht stabil. Nach zehn bis zwanzig Jahren war die Resistenz jeweils nicht mehr vorhanden, da der Pilz sich daran anpassen konnte. «Die Züchter sollten sich der historischen Wurzeln bewusst werden und ihre Aufmerksamkeit wieder auf alte, polygen (durch mehrere Gene bedingte) resistente Sorten richten und sie weiterentwickeln», sagt Bannier. Das sei langwieriger, aber langfristig sinnvoller. So wäre die Resistenz breiter verankert und damit stabiler, bräuchte also weniger Pestizidbehandlungen und wäre trotzdem ertragreich, was für die Landwirtschaft sehr wichtig ist. Langfristig vitale Pflanzen gibt es also nur mit genetischer Vielfalt.

Trockenheitsresistenter Mais

Fokus 108 ApfelHochleistungssorten sind besonders anfällig für Krankheiten. Ertragreich sind sie nur mit hohen Pestizidgaben. Züchter sollten ihre Aufmerksamkeit wieder auf alte resistente Sorten richten und diese weiterentwickeln. (Bild: Shutterstock)

Die Entwicklung von Pflanzen, die weniger empfindlich auf Trockenheit reagieren, ist komplex und daher mit gentechnischen Methoden nicht lukrativ. Folglich besteht dafür ein geringes Interesse und es gibt bislang nur ein marktfähiges Produkt: ein trockenheitsresistenter Mais von Monsanto. Bart Lambert, leitender Forscher bei Bayercrop, erklärt: «Es ist vergleichsweise einfach, Pflanzen unempfindlich zu machen gegen Gifte [...] Viel komplexer ist es, Pflanzen gegen höhere Temperaturen zu stärken, gegen zu viel oder zu wenig Niederschlag – dazu müssten viele Gene verändert werden.» Hinzu kommt, dass die Situationen, in denen die Pflanze gedeihen muss, von vielen Faktoren beeinflusst wird. Die Böden reagieren unterschiedlich auf Trockenheit, und die Dauer und Stärke der Trockenphasen ist variabel. Es braucht eine grosse Variantenbreite, die sich im Labor nicht so einfach herstellen lässt.

Es überrascht also nicht, dass der Nutzen des WEMA-Projektes (Water Efficient Maize for Africa) von den Organisationen African Centre for Biodiversity und Third World Network 2017 kritisch beurteilt wurde. Denn die angeblich trockentoleranten GV-Maissorten reduzieren die Ernteverluste bei einer mässigen Trockenheit bloss um 6 Prozent. Ist der Wassermangel ausgeprägter, versagt der GV-Mais komplett. Im Vergleich dazu sind agrarökologische Ansätze ohne Gentechnik bedeutend erfolgsversprechender. Sie erzielen bei Trockenheit eine Reduktion des Ernteverlustes von bis zu 30 Prozent.

Andere Wege versprechen Erfolg

KenyaDie landwirtschaftliche Produktion würde ausreichen, um alle Menschen der Welt zu ernähren. Die Kalorienmenge, die jedem Menschen täglich zur Verfügung steht, stieg von 2716 Kilokalorien (kcal) zur Jahrtausendwende auf 2904 kcal in den Jahren 2015–2017. Selbst in Subsahara-Afrika stehen rechnerisch 2422 kcal zur Verfügung, in Nordamerika und Europa sind es 3485 kcal am Tag (FAO, Landwirtschafts-organisation der Vereinten Nationen). (Bild: Owen/Greenpeace)

Es ist folglich nicht die Gentechnik, die uns helfen kann, den Herausforderungen in der Landwirtschaft der Zukunft zu begegnen. Doch was sonst? Manches klang bei der Beschreibung der Fälle weiter oben bereits an.

Das Third World Network (TWN) folgert: «Die wirkliche Lösung liegt nicht bei hochorganisierter oder industrialisierter Landwirtschaft, sondern bei den BäuerInnen, ihren Feldern und einem selbstorganisierten Saatgutsystem. Ausserdem verfügen die BäuerInnen über spezielle Kenntnisse. Zum Beispiel dazu, wie man gesunde Böden schafft, die während Trockenperioden mehr Wasser speichern können, oder einen guten Anbaumix wählt, der möglichst widerstandsfähig ist, auch bei unvorhergesehenen Wetterverhältnissen.»

Agroökologie heisst das Stichwort. Mit auf nachhaltigem und auf lokalem Wissen basierenden Methoden werden die Felder kleinräumig mit regionalem Saatgut bewirtschaftet. Ein erfolgreiches Beispiel ist ein Projekt des International Centre of Insect Physiology and Ecology (icipe) mit Namen Push-Pull. Biovision schreibt auf ihrer Homepage: «Push-Pull ist eine integrierte, umweltfreundliche und nachhaltige Anbaumethode. Sie steigert die Erträge, indem sie Schädlinge und Unkrautparasiten bekämpft, den Trockenstress vermindert und die Bodenfruchtbarkeit auf natürliche Art und Weise verbessert.» Damit wurden bereits in zahlreichen Gegenden Afrikas in den letzten zehn Jahren Erfolge erzielt, 150 000 BäuerInnen wenden diese Methode heute erfolgreich an.

Auch die Welternährungsorganisation der UN, die FAO, stärkt diese Stossrichtung, Bauern sollen in Anpassung an den Klimawandel eigenständig lokales und regionales Saatgut entwickeln, das direkt an seine Umgebung angepasst ist.

Nachhaltige Produktionsmethoden anderer Art finden sich auch in Europa. Die solidarische Landwirtschaft, die nach ökologischen, sozialen und nachhaltigen Richtlinien funktioniert, findet immer mehr Anhänger.

Ein weiterer Ansatz ist der Umstieg auf alternative Kulturpflanzen, die besser zu den vorhandenen Verhältnissen passen. Hirse zum Beispiel braucht zum Wachsen deutlich weniger Wasser als Weizen. Oder man greift auf alte bereits vorhandene Sorten zurück, die mit ihren Ansprüchen besser an das vorhandene Klima angepasst sind.

Lösungen gibt es viele, hier wurden nur einzelne herausgepickt und kurz vorgestellt. Gentechnisch verändertes Saatgut gehört nicht dazu. Konsumentinnen und Konsumenten sind nicht daran interessiert. Und bis heute resultierten daraus noch keine wirklich erfolgversprechenden Produkte. Für die Landwirtschaft der Zukunft gibt es besser geeignete Ansätze. Doch das Wichtigste ist, dass alle Beteiligten, sei es aus der Wissenschaft oder aus der Praxis, in der Entwicklung von Antworten zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen, Synergien nutzen und einander zuhören. Nur mit vereinten Kräften und in Absprache miteinander kann es zukunftsfähige Lösungen geben.